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Usbekistan - herzlichste Gastfreundlichkeit in einem Polizeistaat

Nukus (11.Juni - 12.Juni): 29. Bett, 16. Wohnung

Khiva (12.Juni - 14.Juni): 30. Bett, 11. Hotel

Bukhara (14.Juni - 16. Juni): 31. Bett, 12. Hotel

Samarkand (16.Juni - 19.Juni): 32.Bett, 13. Hotel

Taschkent (19.Juni - 21.Juni): 33.Bett, 17. Wohnung

Taschkent (21.Juni - 23.Juni): 34. Bett, 14.Hotel

Fergana (23.Juni - 24.Juni): 35. Bett, 15.Hotel

Andijon (24.Juni - 25.Juni): 36. Bett, 16. Hotel

 

 

Es gibt eine usbekische Geschichte, die wie folgt lautet:

Es war einmal, vor sehr sehr langer Zeit, dass Gott die Erde unter den Völkern aufteilte. Alle Vertreter der einzelnen Völker traten vor Gott und fragte, auf welchem Stück der Erde ihr Volk denn leben sollte. Da nicht alle gleichzeitig mit Gott reden konnten, bildete sich eine Schlange. Der Vertreter des usbekischen Volkes war dabei so gastfreundlich, dass er all die anderen Wartenden in der Schlange vorließ. Wenn immer jemand hinter dem Usbeken anstand, bot dieser ihm seinen Platz an. Als die Vertreter aller Völker bei Gott vorgesprochen hatten und ihrem Teil der Welt zugeordnet wurden, kam der usbekische Vertreter als Allerletzter an die Reihe. Gott fragte: "Was willst Du?" Und der usbekische Vertreter sagte: "Ich möchte wissen, wo auf der Erde mein Volk leben soll.". Gott antwortete: "Oh, jetzt habe ich die ganze Welt unter all den anderen Völker aufgeteilt und es ist kein Platz mehr übrig. Aber lass mich schauen, was ich Dir und Deinem Volk noch geben kann." Nach langem Suchen und Grübeln kam der Gott zurück und verkündete: "Sieh, ich habe keinen Platz mehr auf der Erde für dich gefunden. Das einzige was ich Dir und deinen Leuten noch anbieten kann, ist Folgendes." Und mit diesen Worten überreichte Gott dem Vertreter des usbekischen Volkes einen kleinen Teil des Paradieses. Seitdem leben die Usbeken fröhlich und zufrieden in dem ihnen zugewiesenen Teil des Paradieses.

 

So nett die Geschichte auch anzuhören ist und so oft ich sie erzählt bekommen habe, so viel kann man in sie hineininterpretieren. Dass die Usbeken sehr gastfreundlich sind, stimmt über alle Maße. Als ich mit dem Zug aus Kasachstan in Usbekistan ankam, entfachte sich ein regelrechter Streit unter den Mitreisenden, bei wem ich als Gast übernachte dürfte. Am Ende fanden wir einen Kompromiss und ich verbrachte den kompletten ersten Tag bei der einen Familie und die Nacht und den Morgen des zweiten Tages bei der anderen Familie. Alle gaben sich, mit ihren bescheidenen Verhältnissen, unglaubliche Mühe, so zuvorkommend wie möglich zu sein. Große Essen wurden vorbereitet für mich, jeder kochte, kaufte frische Früchte und trommelte die ganze Familie zusammen, um mir Hallo zu sagen. Wenn man solche Gastfreundschaft im Ausland erfährt, dann fühlt man sehr schnell, ob es aus Herzlichkeit und Interesse getan wird, oder aus Angeberei vor dem Nachbarn und der Hoffnung auf eine Verbindung zu einem relativ reichen West'ler. In Usbekistan jedoch war es durchgehend die Herzlichkeit der Menschen, die zur Gastfreundschaft antrieb und kein Opportunismus.

 

In der einleitenden Geschichte heißt es, dass Usbekistan ein Stück des Paradieses sei. Wenn ich mir die Landschaft Usbekistans anschaue, so bin ich mir sicher, dass es Orte auf der Welt gibt, die dem Paradies näher zu sein scheinen. Usbekistan ist eines von zwei Ländern (Lichtenstein ist das Andere) in der Welt, welches landlocked-landocked ist. Das heißt, dass man mindestens zwei Länder durchqueren muss, um einen Ozean zu erreichen. Genau so fühlt es sich in Usbekistan auch an. Das Meet ist verdammt weit weg. Der Westen von Usbekistan ist unglaublich heiß, bestehend aus Wüste, während der Osten mit einem vergleichbar mildem Klima Bäume und grüne Landschaft aufzuweisen hat. Seen gibt es wenige und der größte See, der Aral-See, der teilweise auf usbekischem Territorium ist, trocknet seit den 60iger Jahren aus und wird sehr bald wohl verschwunden sein. Schuld daran ist der politische Fokus auf die Landwirtschaft, welche sich auf wasserbegierige Baumwolle spezialisiert hat. Dem Trend des Austrocknens des Gewässers werden keine Maßnahmen entgegengesetzt.

 

Trotz der oben beschriebene geografischen Mängel des Landes, scheinen viele Usbeken tatsächlich davon überzeugt, im Paradies auf Erden zu leben. Der Kontakt nach Außen ist für die meisten Usbeken so beschränkt, dass ihnen auch keine große andere Wahl bleibt, als an die Schönheit des eigenen Landes zu appellieren. Der Vergleich zu anderen Ländern fehlt den meisten schlichtweg. So braucht man als Usbeke, um das Land verlasse zu dürfen, eine Genehmigung der Regierung. Einfach so Tourist sein, geht als Usbeke nicht. Eine Auslandsreise ist an Bedingungen geknüpft. Männer kriegen nur die Erlaubnis eine Reise zu machen, sofern sie beim Militär waren, oder die Gebühr bezahlt haben, dass sie nicht beim Militär waren. Einer meiner usbekischen Bekannten war 26 und noch nie als Tourist im Ausland. Er hatte es versucht, aber da er nicht beim Militär war, wurde ihm die Ausreisepapiere verweigert. Jetzt hat er sich dazu entschieden, einen Monat zum Militär zu gehen, um die Ausreisedokumente bekommen zu können und um nicht mehr von dem Militär belästigt zu werden, wann er denn endlich seinen Dienst antreten würde.

 

Dies lässt mich dazu überleiten, dass Usbekistan der ausgeprägteste Polizeistaat ist, in dem ich je gewesen bin. Da ich viel in Kontakt mit Usbeken war, oft meine Meinung frei herausposaunt habe und diverse Male gesagt bekommen habe, dass ich doch lieber leise sein solle mit solchen politischen Äußerungen und das Thema abrupt gewechselt wurde, hatte ich zum Ende meiner Reise ein mulmiges Gefühl. Was wäre, wenn einer meiner Gesprächspartner meine Meinungen an Offizielle weitergeleitet hätte und man mich an der Grenze angehalten und befragt hätte? Ich weiß, in einem usbekischen Gefängnis würde ich wohl nicht landen, aber äußerst unangenehm wäre es geworden. Ganz zu Beginn war ich so naiv, nicht immer erst zu fragen, was der Beruf der Menschen war, mit denen ich kommunizierte. In dem einen Fall stellte es sich, nach einem ca. einstündigen Gespräch heraus, dass mein Gegenüber bei der Zentralbank arbeitet und somit ein Teil der Regierung ist. Er erzählt mir, dass, als die neue Bibliothek in der usbekischen Hauptstadt Tashkent, eingeweiht wurde, er die Aufgabe hatte, die neuen Bücher durchzugehen und jene auszusortieren, welche regierungskritische Texte beinhalteten. Und da war ich nun und redete einem usbekischen Regierungs-Zentralbanker westlichen politischen Konsens daher. Nachdem ich ein paar Mal geschluckt hatte, beruhigte sich die Situation, er schmunzelte, sagte, dass ich solche politischen Äußerungen in Usbekistan nicht sagen sollte und fing in einer ironischen Weite an, über das Wetter zu reden. Ich tat es ihm gleich.

 

Andere Situationen waren ähnlich, wenn auch nicht ganz so brenzlich. Einmal hatte ich eine harmlose Frage über eine innenpolitische Angelegenheit bezüglich des Präsidenten. Statt einer Antwort hob mein Gesprächspartner seinen Zeigefinger vor den Mund und gab ein "Ssscchh" von sich, um mir zu verstehen zu geben, dass man solche Fragen in Usbekistan nicht stellt. Ich verstand und sprach nicht weiter.

 

Ein anderes Mal fragte ich einen anderen Usbeken etwas bezüglich der Regierung. Die Antwort war, dass man über die Regierung nicht informiert sei und keiner über innenpolitische Angelegenheiten reden würde. Mein Gesprächspartner wüsste den Namen des Präsidenten, aber kein einziger Minister oder anderer Politiker sei ihm bekannt. Es gäbe einfach nur den Präsidenten und sonst nichts, keine bekannten Minister, keine Opposition, keine Parteien, einfach nur den Präsidenten. Seine Worte waren sinngemäß, dass 'Politik in Uzbekistan halt nicht existieren würde'. Der usbekische Präsident Islom Karimov ist sehr alt und wird wohl nicht mehr all zu lange leben. Viele Beobachter spekulieren, dass Usbekistan in sehr unsichere Zeiten fallen wird, sobald der gegenwärtige Machthaber stirbt, da es ein Machtvakuum geben wird. In der Folge werden vermutlich seit Jahrzehnten unterdrückte politische Gruppierungen um die Macht kämpfen. Auch grenzt Usbekistan an Afghanistan, weshalb die Angst besteht, dass islamistische Strömungen, nach dem Tod des gegenwärtigen Präsidenten, in Usbekistan an Einfluss gewinnen könnten. Hoffentlich Bewahrheiten sich die Befürchtungen nicht und Usbekistan wird eine friedliche Machtübergabe gelingen.

 

Usbekistan ist, meiner Meinung nach, weit hinter den westlichen Gesellschaften zurück, auf ökonomischer, politischer sowie gesellschaftlicher Ebene.

 

Zuallererst möchte ich die ökonomischen Situation Usbekistans erläutern:

Einleitend ist zu sagen, dass es in Usbekistan nur zwei Automarken gibt (Daewoo & Chevrolet), wobei gegenwärtig nur eine Automarke aktiv verkauft werden darf, nämlich Chevrolet. Der Import von anderen Autos ist verboten, bzw. mit solch hohen Zöllen belegt, dass niemand ausländische Autos kauft. Das Ergebnis ist, dass in ganz Usbekistan, bis auf einige Daewoos, nur Chevrolets rumfahren. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik wird nicht nur auf die Autos angewendet, sondern auch auf alle andere Produkte in Usbekistan. Das Ziel der Regierung ist es, die heimische Wirtschaft zu fördern und es wird geglaubt, dass dieses Ziel erreicht werden kann, indem man Importe blockiert. Darunter jedoch leidet die Bevölkerung. Chevrolets sind, auf Grund der Monopolstellung des Konzerns, in Usbekistan teurer als im Ausland. Auch fließt kein Kapital ins Land, welches den Wohnungsbau fördern würde. Stattdessen zahlte zum Beispiel einer meiner Gastgeber, welcher Lehrer war und 200 Dollar im Monat verdiente, für seine Wohnung 250 Dollar Miete pro Monat. Um diesen Betrag aufbringen zu können, teilte er sich seine Zweizimmerwohnung mit vier Studenten. Es war überragend, dass ich überhaupt noch als Gast so freundlich aufgenommen wurde und als sechste Person in einer Zweizimmerwohnung unterkommen konnte. Auch die Geldpolitik des Landes ist vor die Wand gefahren. Der offizielle Wechselkurs ist ca. 1Dollar=3000Sum. Der inoffizielle Wechselkurs ist 1Dollar=6000Sum. Die Menschen haben das Vertrauen verloren in die usbekische Währung, jedoch meint die usbekische Regierung, die usbekische Währung künstlich hoch halten zu können. All meine Dollars habe ich, so wie alle Touristen und Usbeken, auf dem Schwarzmarkt getauscht. Da die Regierung die Inflation nicht eingesteht, werden keine Scheine gedruckt, die mit der Geldentwertung mithalten. Das Ergebnis ist es, dass der meistgebrauchte Schein ein 1000 Sum- Schein ist, welcher ca. 15 Euro-Cent wert ist. Ihr könnt euch vorstellen wie es aussah, als ich 50 Euro in 1000Sum-Scheine, umgerechnet 15 Euro-Cent-Noten, umtauschte..

 

Die mangelhafte politische Situation in Usbekistan habe ich wie folgt erlebt:

Im Jahre 2005 gab es einen Zwischenfall, welcher westliche Regierungen dazu veranlasste, den Kontakt zu der usbekischen Regierung abzubrechen. In der Stadt Andijon hatten größtenteils friedliche Demonstrationen stattgefunden, welche gegen die Regierung gerichtet waren. Als Reaktion wurden Polizeikräfte geschickt, die die Kundgebung brutal beendeten und im Zuge dessen mehrere hundert Demonstranten auf offener Straße erschossen. Das Ereignis ging als Andijon-Massaker um die Welt. Seit diesem Vorfall ist die Kritik in Usbekistan an der Regierung strengstens verboten. Medienberichten zufolge werden politische Blogger festgenommen und teilweise zu Tode gefoltert. Die Bevölkerung wird durch die Machthaber aufs äußerste überwacht. Einer meiner Gastgeber berichtete mir, dass jeder Usbeke alle sechs Monate zum Amt muss, um sich zu registrieren und nachzuweisen, dass man weiterhin da lebt, wo man amtlich eingetragen ist. Auch ich als Tourist musste mich registrieren. Mindestens alle drei Tage musste ich in einem Hostel schlafen, sodass die Hostelbetreiber bei der Polizei anrufen konnten, um meine Reisepass-Daten durchzugeben. Hätte ich das nicht getan, hätte ich viel Stress und vermutlich eine sehr hohe Geldstrafe an der Grenze bekommen. Auch ist Usbekistan eines der letzten Länder in der Welt, in dem bis heute Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen leben. Offiziell ist die Sklaverei abgeschafft, aber nach wie vor gibt es einige tausend Menschen, die in Usbekistan auf den Feldern schuften müssen, ohne einen richtigen Lohn, ohne Rechte und ohne die Möglichkeit, aus ihrer Lage zu entfliehen. Und es gibt einen weiteren Umstand in Usbekistan, welcher stark zu kritisieren ist: Einmal pro Jahr ist nämlich Baumwollernte. In dieser Zeit müssen ALLE Usbeken, also Kinder, Studenten, Lehrer, Arbeitnehmer und -geber auf die Baumwollfelder, um zu pflücken, es sei denn sie leben in Taschkent, oder sie könne sich mit jährlich ca. 200Dollar freikaufen. Das Ergebnis ist, dass die Reichen sich freikaufen und die Armen für vier Wochen gegen einen Hungerlohn auf die Felder müssen.

Nach ca. zwei Wochen als Tourist in Usbekistan war ich froh endlich auszureisen. Erst als ich ausreiste und in Kyrgyzstan ankam, bemerkte ich, welch Last es für mich dargestellt hatte, mich ständig beobachte zu fühlen und das Gewissen zu haben, dass ich mich in einem Land aufhalte, welches Menschen meines Alters in Gefängnisse wirft, nur weil sie ihre Meinung zu der politischen Situation offen besprochen haben. In Usbekistan herrschen politische Bedingungen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Die freie Meinungsäußerung, die wir hier in Europa als so gottgegeben verstehen, ist ein Schatz, den ich erst in Usbekistan in seiner vollen Wichtigkeit zu würdigen verstanden habe.

 

Auch gesellschaftlich hat Usbekistan noch eine Menge Luft nach oben frei. Eine meiner Gastgeberinnen fragte ich, wieso sie kein Facebook habe. Sie druckste lange rum und antwortet nicht. Später erzählte mir ihre Schwester, dass ihr Freund es ihr verbiete social media zu benutzen. Das verdutzte mich und ich fragte keck bei meiner Gastgeberin nach, wieso ihr Freund ihr denn Facebook nicht erlauben würde. Meine Gastgeberin zuckte mit den Achseln und meinte: „He is very strict“. Damit war das Thema für sie geklärt. Für mich war es ein Beweis dafür, wie die Stellung der Frau in Usbekistan ist. Zwar laufen die meisten Frauen in Kleidung herum, die für eine gewisse weibliche Emanzipation zu sprechen scheint. Fakt ist aber, dass die Beziehungen zwischen Mann und Frau nach wie vor sehr traditionell sind. Auch Sex vor der Ehe ist ein no-go. Eine der witzigsten Unterhaltungen hatte ich, als ich mit zwei Usbeken das EM-Spiel Russland gegen Wales besprach. Als ich erwähnte, dass es in Deutschland die Norm ist, dass Frauen vor der Ehe Sex haben und die meisten Menschen in der Stadt aus der ich komme, Berlin, nie heiraten und trotzdem Kinder haben, waren sie sehr perplex. Die Gesichter des Erstaunens waren unbeschreiblich. Einer meiner Gesprächspartner zuckte bei meiner Erzählung sogar merklich zusammen. Davon, dass man auch ohne Heirat eine Familie gründen kann, hatten sie beide noch nie gehört.

 

Usbekistan war eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Es war ein Land, welches mir gezeigt hat, wie viele Rechte in Europa etabliert sind, für deren Erhalt es sich einzusetzen gilt.

 

Es gibt sehr viele Binsenweisheiten, deren Tragweite man erst vollkommen versteht, wenn man sie einmal erlebt hat. Einem Kind kann man tausend Mal sagen, dass die Herdplatte heiß ist. Erst wenn es sich fast verbrannt oder wirklich verbrannt hat, versteht es, dass die Herdplatte wirklich sehr heiß ist und es sich in Zukunft davon fernhalten soll. So geht es mir gerade mit den deutschen, den europäischen Grundrechten. Ich habe immer verstanden, dass diese wichtig sind und einen Grundpfeiler der deutschen Demokratie darstellen. Aber erst jetzt, nachdem ich einen solchen Unrechtsstaat wie Usbekistan besucht habe, habe ich mich, um bei der Metapher des Kinder zu bleiben, ausreichend verbrannt, und weiß, welche Art von Gesellschaft entstehen kann, wenn das Recht nicht mehr recht ist.

 

 

 

Eines der repräsentativen historischen Gebäude in Khiva
Eines der repräsentativen historischen Gebäude in Khiva
Kinder, die in der historischen Seidenstraßen-Stadt Khiva spielen
Kinder, die in der historischen Seidenstraßen-Stadt Khiva spielen

Unsere europäische Identität

In jedem Land in dem ich bisher war, seitdem ich Europa verlassen haben, sagte man mir, dass ich den Aufenthalt in diesem Land genießen solle, denn ab dem nächsten Land würde das Abenteuer anfangen und die Zivilisation, so wie ich sie kenne, aufhören. Die Türken behaupteten das über Georgien, die Georgier über Aserbaidschan, die Aserbaidschaner über Kasachstan und die Kasachen über Uzbekistan. Wenn immer ich sagte, dass meine Route in den Osten führt, gab man mir zu verstehen, dass das eigene Land sicher sei, aber man spätestens im nächsten Land meiner Route gut aufpassen solle. In keinem der Länder wurde mir das Gefühl vermittelt, dass das nächste Land genauso gut sei, wie das Land in dem ich mich gerade aufhielt. Wenn ich dies mit Europa vergleiche wird mir erst bewusst, welch einen weiten Weg der europäischen Integration die EU hinter sich gelassen hat. Wenn ich in Europa unterwegs bin, dann fühle ich mich zu Hause. Die europäischen Länder haben so viele Gemeinsamkeiten und so viele Konsenslösungen gefunden, dass wir Europäer darauf stolz sein sollten. Als ich in Georgien ein polnisches Pärchen antraf und mit ihnen einen Tag verbrachte, verbanden uns der europäische Geist und die europäischen Werte. Außerhalb Europas ist das Bild ein anderes. Viele Länder betrachten ihre Nachbarn mit Misstrauen. Viele Länder haben einen patriotischen Stolz, der an Nationalismus grenzt. Viele Völker außerhalb Europas behaupten von sich, besser zu sein als ihre Nachbarvölker.

Die Reise in den Osten, die Möglichkeit von einem Land zum Nächsten zu gehen, politische Verhältnisse dabei zu vergleichen, zu erfahren, wie Länder Nachbarn sind und sich ideologisch so fern sind, ist für mich ein weiterer Beweis dafür, dass die EU den Weg der Integration foranschreiten muss, den sie in den letzten Jahrzehnten beschritten hat. Vieles ist an der EU auszusetzen, aber der Grundgedanke der EU muss vorangetrieben werden. Die verschiedensten Länder, Kulturen und Mentalitäten sind in der EU so nah gerückt, wie ich es in noch in keiner anderen Region der Welt gesehen habe. Die grenzübergreifende europäische Identität ist stärker als die zentralamerikanische Identität, die südostasiatische Identität, die ostafrikanische Identität, auf jeden Fall stärker als die zentralasiatische Identität und auch stärker als all die anderen Identitäten von verschiedensten Regionen der Welt, die ich bereist habe. 

Utopisch wäre es, von einer Welt-Identität zu philosophieren. In der Welt von heute ist es abwegig, dass alle Menschen des Planeten sich als Welt-Bürger sehen und für ihre Welt-Mitbürger die gleiche Empathie zeigen, wie sie es gegenwärtig für ihre nationalen Mitbürger tun. So schön der Gedanke der Identität eines Welt-Bürgertums auch ist, so unrealistisch scheint dieser Gedanke mir. Was jedoch realisierbar ist, ist eine gemeinsame europäische Identität, für die wir Europäer uns noch mehr einsetzen sollten. Die bisherigen Errungenschaften der europäischen Integration zeigen deutlich, dass Europa unter einer Identität vereint sein kann.

Ich persönlich gehe vollkommen in der Idee der europäischen Identität auf. Wenn ich an meine Freunde denke, dann sind das Europäer, zweitrangig lediglich sind sie griechisch, spanisch, niederländisch, schwedisch, britisch, deutsch oder was auch immer. Was sie vereint ist die europäische Heimat, sind die europäischen Werte, ist ihre europäische Identität.

So betrachte ich mich selber an erster Stelle als Europäer, an zweiter Stelle als Deutscher, an dritter Stelle als Berliner, an vierter Stelle als Prenzlauerberger, an fünfter Stelle als Hagenauerstraße17a'ler, an sechster Stelle als 5ter-Stock'ler. Ich bin Europäer und dann bin ich Deutscher und dann erst alles andere. Noch viel mehr Menschen in Europa sollten ganz im Sinne Willy Brandt's dem Motto fröhnen: Wir wollen mehr EU wagen. Es lebe die europäische Identität!

Zug

Kasachstan-Uzbekistan (10. Juni - 11.Juni): 28. Bett, 1.Zug

Eine Zugfahrt, die ich wohl nie vergessen werde. Ich habe mich dazu entschieden, einen eigenen kurzen Blogeintrag dazu zu verfassen, denn schließlich war ich länger als einen Tag, nämlich 26 Stunden, im Zug.

Um den Zug zu beschreiben, verwende ich Schlagworte:

Essensgeruch.
Extrem enger Raum.
Vor dem Fenster immer nur Steppe, Steppe, Steppe für 26 Stunden.
Ab und zu ein kleines Steppendorf.
Schnarchende Männer.
Nur eine Schiene, weshalb man ständig auf Wartegleisen auf das Passieren eines anderen Zuges wartete.
Teilweise sehr sehr warm und stickig, auf Grund der Sonne von draußen, des heißen Essens, des Aufkochens von Tee und all der schwitzenden Menschen.
Im Hintergrund die ganze Zeit das tata----tata----tata der Schienen.
Sehr langsamer Zug.
Hoher sozialer Kontakt auf Grund des engen Raumes.
Kein Essen für mich selber gezahlt, da jeder Mitfahrende mich mindestens einmal eingeladen haben wollte.
Niemand spricht Englisch - Niemand!
Keine richtige Konversation für über einen Tag gehabt.
Mitreisende die ganze Zeit am Reden in anderen Sprachen sind.#
Oft werden laut Videos angeschauen, dabei erklingen aus dem Handy komische Musiken, Helikotergeräusche, Sprachen die ich nicht verstehe.
Einigermaßen gemütliche Betten.
Keine Bewegung für mich.
Nicht ein einziges Mal den Zug verlassen, aus Angst um meine Sachen.
Einige können bei der Grenzkontrolle ihr Einreiseformular nicht selber ausfüllen und so tuen es die alphabetisierten Mitfahrenden.
An kasachischer Grenze über zwei Stunden von Grenzbeamten durchsucht worden.
An usbekischer Grenze über zwei Stunden von Grenzbeamten durchsucht worden.
Harscher Ton an jeder Grenze: "Stand up! Sit down! Stand up! Sit down!".
Sehr eklige Toiletten.

Eine tolle Erfahrung, die ich nicht hätte missen wollen.

Kasachstan - Steppe, Steppe, Plattenbau, Steppe

Kaspisches Meer (6. Juni - 7.Juni): 26. Bett, 2. Boot
Kasachstan, Aktau (7.Juni - 10.Juni): 27. Bett, 15. Wohnung

Kasachstan, von Aserbaidschan kommend, ist das Einfallstor nach Zentralasien. Europa habe ich jetzt ganz hinter mir gelassen und die totale Fremde beginnt. Seitdem ich vor einiger Zeit nach Asien gekommen bin, war jeder Tag in sich etwas Besonderes, etwas Neues. Ich bin wie ein kleines Kind, dass von einem neuen Eindruck in den nächsten stolpert. So neu Zentralasien für mich ist, so überrascht bin ich über die Ausmaße der Staatskontrolle in diesem Teil der Welt. Deswegen habe ich mich schweren Herzens dazu entschieden meine Sektion 'People I Met' ab Kasachstan für lokale Anwohner auszusetzen und nur noch die Fotos von westlichen Touristen , denen ich auf meiner Reise begegne, hochzuladen. Mein Blog hat sich in eine politische Richtung entwickelt, von der ich nicht abweichen will. Der hoch politische Kontext gepaart mit Bilder von lokalen Leute, denen ich begegne, stellt ein Risiko dar für all diejenigen, die mich in Asien mit so viel Gastfreundschaft und Herzlichkeit willkommen geheißen haben. Es kann gut sein, dass ich übervorsichtig bin, aber auch nur die Wahrscheinlichkeit heraufzubeschwören, dass jemand wegen mir zu schaden kommt, möchte ich vermeiden. Deswegen bleibe ich bei meinen politischen Aussagen, verbinde diese aber nicht mehr mit meinen zentralasiatischen Bekanntschaften, zum Schutz jener, die ich lieb gewonnen habe in letzter Zeit. Weiterhin werde ich jedoch die Fotos von den lokalen Anwohnern machen und sie in Berlin dann ausdrucken und darstellen. Das Projekt ist also nicht beendet, wird lediglich anders fortgeführt.

So teilweise ernüchternd dieser Blogeintrag anfängt, so ernüchternd geht er erstmal weiter. In Kasachstan, um genau zu sein in der Stadt Aktau, angekommen, wurde ich von der vermeintlich unfreundlichsten Grenzkontrolle aller Zeiten begrüßt. Es war nicht nur die Unfreundlichkeit, sondern der Generalverdacht, dass ich Kasachstan, bzw. dem Regime etwas Böses tun könnte, der mich überraschte. Statt eines begrüßenden Hallos bekam ich ständig ein "What purpose of visit!" an den Kopf geworfen. Das Gefühl in einem Polizeistaat zu sein, war sofort gegeben. 

Als ich die Grenzkontrolle überwunden hatte und von dem Frachthafen mit dem Taxi in die Stadt fuhr, wurde mir gleich die eigenartige Bevölkerungsdurchmischung deutlich. Ca. 75% der Menschen sehen sehr asiatisch aus und der Rest sieht sehr russisch aus. Die beiden Bevölkerungsgruppen scheinen sich auch fast nicht zu vermischen. Das Bild ist komisch: die russisch Aussehenden groß, oft blond, mit langen Nasen und schmalen Gesichtern und die asiatisch Aussehenden kleiner, schwarzhaarig und mit eher runden Gesichtern. Mein Bild von Kasachstan war (ungebildeterweise) geprägt von dem Film Borat. In dieser Darstellung sehen die Menschen eher osteuropäisch aus und haben nichts gemeinsam mit den wahren Uzbeken, von denen die meisten sehr asiatisch aussehen.

In Aktau kam ich vorne am Strand des Kaspischen Meeres an. Über Couchsurfing hatte ich wieder einen Gastgeber gefunden, welcher allerdings 2,5km vom Strand entfernt wohnte. Deswegen machte ich mich mit dem schweren Backpack auf den Weg und muss dabei, so groß, deutschaussehend und eigentlich gekleidet wie ich war, für die Einheimischen ein witziges Bild abgegeben haben. Aktau wurde 1958 von den Sowjets geplant und gebaut, da in der Umgebung Gas, Öl und Uranium abgebaut wurde und teilweise bis heute wird. Ehemalig lediglich eine Arbeiterstadt, leben dort jetzt normale Familien, jedoch ist das sowjetische Stadtbild erhalten geblieben. Plattenbau nach Plattenbau am Kaspischen Meer, umringt von tausenden Kilometern zentralasiatischer Steppe. Dabei ist die Stadt Aktau so gesichtslos, dass es noch nicht einmal Straßennamen gibt. Die Stadt ist organisiert in Mikrodistrikten. Jeder Wohnblock, jede Häuserreihe und jedes Apartment hat eine Nummer und so erhielt ich von meinem Gastgeber bei Ankunft nur ein paar komische aneinander gereihte Ziffern. Die Nachricht sah in etwa so aus: "My address is 17a-9-113. See you later!". Nach ca. 45 Minuten laufen hatte ich Glück und fand meinen Gastgeber hinter der ersten Tür, an der ich anklopfte, vor.

Mein Einstieg in die Wohnung, wo ich für drei Nächte Gast sein sollte, war sehr holprig. Mein Gastgeber und ich kamen schnell auf das Thema Krim-Annexion und Russland-West-Beziehungen zu sprechen. Bevor ich die politische Ausrichtung meiner Gastgeber durchschaut hatte, posaunte ich die westliche Meinung heraus, nur um später festzustellen, dass meine Gastgeber den russischen Medien folgen, diesen Glauben schenken und teilweise sogar in Russland aufgewachsen sind. Auch wenn der Start als Gast denkbar schlecht war, fanden wir später zueinander und verstanden uns sehr gut!

Mein Gastgeber wohnte noch bei seiner Mutter und beide sahen sehr asiatisch aus. Trotzdem sprachen sie russisch. Kasachstan ist Russland sehr nah, geografisch wie ideologisch und so erfuhr ich, dass die kasachische Sprache nur in den Dörfern gesprochen wird, während die russische Sprache in den Städten gesprochen wird. Später machte ich einen Ausflug mit meinem Gastgeber und sein Kasachisch war so schlecht, dass es während der Kommunikation mit der Land/Steppen-Bevölkerung öfters zu Missverständnissen kam. Generel ist die Elite des Landes sehr nach Russland gerichtet. Wenn der Präsident eine Ansprache hält, dann wird diese erst in Kasachisch und dann noch einmal auf Russisch verlesen.

Die Zeit in Aktau habe ich sehr gut in Erinnerung. So groß der Kulturschock auch war, so wohl fühlte ich mich bei meinen Gastgebern. Am ersten Tag erkundeten wir die Stadt, was so viel heißt wie die Atmosphäre von Plattenbauten am Kaspischen Meer aufzusaugen. Am zweiten Tag machten wir einen Ausflug in die Steppe zu unglaublichen Felsformationen. In den Bilder seht ihr dazu mehr. Mein Gastgeber und seine Mutter taten alles, um es mir so gemütlich zu machen wie möglich. Normalerweise teilen sich die beiden ein Doppelbett im Schlafzimmer. Sie bestanden jedoch darauf, dass ich alleine im Doppelbett schlafen sollte und die beiden schliefen die ganze Zeit auf den zwei kleinen Sofas im Wohnzimmer. In Deutschland wäre diese Aufopferung für einen Gast nicht denkbar.

Wieder habe ich die Bevölkerung des bereiste Landes, diesmal im Kontrast zu den staatlichen Autoritäten, als extrem freundlich wahrgenommen. Als mein Gastgeber und ich einen Ausflug in die Steppe machten, passierte es uns einmal, dass wir in einem Städtchen das Restaurant nicht fanden. Als zwei junge Männer merkten, dass wir uns verlaufen hatten, riefen sie ihren Freund an, dieser kam mit einem Auto extra vorbeigefahren, um uns zu dem 300 Meter entfernten Restaurant zu fahren. Natürlich war ich in der westkasachischen Steppe ein Exot, weshalb die Leute neugierig waren, aber die Neugierde war immer sehr freundlich und unaufdringlich, sehr angenehm.

Am letzten Tag in Aktau merkte ich wieder, wie weit weg ich von Europa bin, als mein Gastgeber mich unvermittelt fragte, ob wir in Deutschland Zucchini haben und wie diese schmecken würden. Ich bejahte, sagte, dass es Zucchini geben würde und versuchte, mehr schlecht als recht, den Geschmack zu beschreiben. Eine Sache, die in Kasachstan dafür getrunken wird und in Deutschland nicht, ist Kamelmilch. Diese schmeckt sehr salzig und hat eher die Konsistenz eines Joghurts. Ich bin froh, dass wir in Europa Kuhmilch trinken!

Abschließend möchte ich noch sagen, dass Kasachstan sehr konservativ ist. Von einer modernen Gesellschaft ist Kasachstan noch weit entfernt. Als Beispiel dafür dient ein Kurzfilm, welcher von einem Kasachen gedreht wurde und das kasachische Leben von Frauen in ländlichen Regionen zeigt. In Cannes erregte der Film Aufsehen und wurde gelobt. In Kasachstan bekam der Regisseur keine Anerkennung und wurde stattdessen sogar auf offener Straße verprügelt. Viele Kasachen hatten Anstoß daran gefunden, dass in dem Film eine "Sexszene" vorkam, welche nach westlichen Maßstäben nicht im Ansatz anstößig ist, da man lediglich im Film den Sex hören kann und kein Bildmaterial dazu gezeigt wird.

Westkasachstan war eine der spannendsten Erfahrungen meiner Reise. Gerade mit dem Ziel auf meiner Reise moderne Lebensweisen kennenzulernen, war Aktau eine besondere Stadt für mich. Ich bin sehr froh, dass ich dort war und bin gespannt, ob ich in meinem Leben je wieder zurückkehren werde, denn so ab vom Schuss wie Aktau, sind wenige Städte.
Aktau-Stadtbild
Aktau-Stadtbild

Aserbaidschan - sehr herzlich und oligarchisch

Baku (2.Juni - 6.Juni): 25. Bett, 14. Wohnung

Das Oligarchische Aserbaidschan

In Vorfreude auf mein bald beginnendes Studium in Stockholm, greife ich alles auf, was ich über Schweden erfahren kann. Im Zuge dessen habe ich mich auch über die Familie Wallenberg informiert, welche noch in den 1990er Jahren ein Drittel des schwedischen BIP's kontrollierte und bis heute einen großen Einfluss auf die Wirtschaft Schwedens ausübt. Das Motto der Familie war stets: "To be, not to be seen". Ich fange meinen Eintrag mit dieser Einleitung an, da Aserbaidschan ein Land ist, dessen Elite genau dem Gegenteil frönt. Es würde mich nicht verwundern, wenn die Elite des Landes sogar das Motto "To be, to be seen." hätte. Baku, die Hauptstadt von Aserbaidschan, ist voll mit den Auto-Marken Bugatti, Maserati, Mercedes, Porsche und Audi. Die Polizeiflotte besteht aus BMWs. Während die Reichen in Baku ihr Geld in immer ausgefallenere Limousinen stecken und mit diesen die Straßen in halsbrecherischem Tempo unsicher machen, ist der Großteil der Bevölkerung vom Wohlstand abgeschnitten.

Ganz an der Spitze des Landes stehen die Familien des Präsidenten İlham Aliyev und seiner Frau. Die einflussreichen politischen Posten des Landes sind an Gefolgsleute vergeben, die aus dem gleichen Dorf wie der Präsident kommen. Der heutige Präsident ist der Sohn des vorherigen Präsidenten Heydar Aliyev und im ganzen Land hängen Bilder des gegenwärtigen und des vorherigen Präsidenten. Ursprünglich besagte die Verfassung, dass kein Präsident länger als zwei Amtsperioden regieren darf. Diese Regelung wurde jedoch kürzlich erweitert, sodass ein Präsident länger im Amt verweilen darf, sofern Aserbaidschan im Kriegszustand ist. Und da Aserbaidschan seit zwanzig Jahren mit Armenien im Konflikt über die Region Karabach ist, wird der jetzige Präsident wohl noch ein bisschen im Amt bleiben. Zynisch könnte man sagen, dass der Konflikt mit Karabach dem Präsidenten in zweierlei Hinsicht in die Hände spielt. Zum einen gibt es İlham Aliyev die Chance sein Verweilen im Amt zu begründen. Und zum anderen steht das Land, auf Grund des externen Feindes, vereint da. Die ganze Stimmungsmache richtet sich gegen Armenien, da bleibt für die Bevölkerung keine Zeit die Situation im eigenen Land zu hinterfragen. In den Bussen des öffentlichen Nahverkehrs gibt es zum Beispiel zwei Bildschirme die von der Decke hängen. Der linke Bildschirm zeigt die nächsten Bushaltestellen und der Rechte zeigt eine aserbaidschanische Flagge mit der Aufschrift: "Alle Wege führen nach Karabach".

Neben den großen teuren Autos gibt es weitere Beispiel für das scheinbare Motto der aserbaidschanischen Elite "To be, to be seen". Jeden Morgen gibt es während der Rush-Hour Stau, aber manchmal ist der Verkehr besonders zäh. Der Grund dafür ist, dass zwei bis drei Mal pro Woche die Hauptstraße von Baku gesperrt wird, damit der Präsident mit Geleit zum Flughafen fahren kann, um auf eine Auslandsreise zu gehen. Das Ergebnis ist, dass das ganze berufstätige Baku im Stau darauf wartet, dass der Präsident passiert. Ein weiteres Statussymbol der Machthaber in Baku sind die besondereren Nummernschilder. Minister und Mitglieder der Familie des Präsidenten können so durch Verkehrspolizisten auf Grund ihrer Nummernschilder erkannt werden und sind von den Straßenverkehrsregeln ausgenommen. Auch auf die Wirtschaft wirkt sich der Einfluss der Elite aus. An einem Abend ging ich in Baku mit meiner Gastgeberin und ihren Freunden im relativ spärlichen Baku-Nachtleben aus. Auf mein Kommentar hin, dass im Clubleben der Stadt viel Potential stecke, bekam ich die Antwort, dass die Wirtschaft durchdrungen sei von Monopolen und man für die Eröffnung eines neuen Clubs diverse Erlaubnisse brauche, welche schwer zu bekommen seien. Wer diese Eraubnisse gibt, kann man sich ausmalen.

Auch in den Köpfen der Leute sind die beiden Präsidenten, Vater und Sohn, unangefochten und die absolute Spitze des Landes. Ich habe kein einziges Mal während meines Aufenthaltes in Aserbaidschan eine frei herausgesprochene Kritik am Präsidenten oder seiner Familie vernommen. Das höchste der Gefühle waren die Kritik an Umständen, an denen der Präsident offensichtlich schuld ist. Die Schuldzuweisungen fand jedoch nicht statt.
Auf meiner Busfahrt von Georgien nach Baku machte ich Bekanntschaft mit zwei Aserbaidschanern. Einem Mann namens Eziz im Alter von 24 Jahren und seiner Mutter. Da Eziz nur sehr wenige Brocken Englisch sprach und ich mit der Mutter gar keine Sprache teilte, beschränkte sich unsere Konversation bald darauf, uns gegenseitig Bilder auf unseren Smartphones zu zeigen und zu gestikulieren. Beim Durchschauen der Bilder des Smartphones der Mutter war ca. jedes dritte Bild der Familie des Präsidenten gewidmet. Mal wurde die Präsidentengattin gezeigt, dann die Töchter des Staatsoberhauptes, dann der Sohn, dann wieder die Gattin. Als ich diese Sammlung an Bilder der Präsidentenfamilie sah, war ich vielmehr an einen König erinnert, als an das Staatsoberhaupt einer demokratischen Gesellschaft.

Die unverhohlene Kritik am System, welche ich oben beschreibe, könnte ich als aserbaidschanischer Student nicht veröffentlichen. Facebook ist zum Beispiel überwacht und wer sich als Aserbaidschaner keine Probleme einhandeln will, der sollte nichts regierungskritisches auf seinem Profil schreiben.

Das herzliche Aserbaidschan

Nachdem ich nun so kritisch über die politischen Verhältnisse in Aserbaidschan hergezogen habe, möchte ich mich wieder auf die Menschen und Individuen beziehen. Es scheint so, als wenn es immer gastfreundlicher wird, je weiter ich in den Osten vordringe. Nachdem Georgien mich mit seiner Herzlichkeit in den Bann zog, stand Aserbaidschan seinem Nachbarland in Nichts nach. Ich würde sogar beinah sagen, dass die Aserbaidschaner noch einen Ticken freundlicher zu Ausländern sind. Es fing mit der Kontrolle an der Grenze an. Eine so nette Konversation über meine Heimatstadt und meinen Lieblingsfußballverein mit einem anschließenden herzlichen "Welcome to Azerbaijan!" habe ich noch an keiner Grenze bekommen. Im Bus ging es mit der Herzlichkeit weiter. Der Mitfahrende Eziz, den ich bereits vorher erwähnte, nahm sich mir, obwohl wir keine Sprache teilten, während der gesamten Fahrt und darüber hinaus an. Aus Tiflis um 16 Uhr abgefahren, kam der Bus in Baku um 4 Uhr morgens an. Es war noch dunkel und ich hatte Eziz trotz der fehlenden Sprachkenntnisse irgendwie beibringen können, dass ich meinen Gastgeber am Morgen im Zentrum treffen würde. Ich ging davon aus, dass mir Eziz lediglich ein Taxi ins Zentrum organisieren würde, aber dabei blieb es nicht. Eziz organisierte das Taxi und fuhr dann mit mir zusammen ins Zentrum, um geschlagene sechs Stunden mit mir in einem Café zu warten, bis mein Gastgeber um 10 Uhr morgens mich abholen würde. Als wir jedoch im Zentrum ankamen, war kein Café geöffnet. Eziz sprach mit einem Cafémanager und dieser öffnete extra für uns seinen Laden, machte das Wifi an, sodass wir ins Internet gehen konnten, brachte umsonst Tee und bestand darauf mit uns Amaretto zu trinken. Der Cafémanager hieß Ali und setzte sich zu uns an den Tisch. Kurze Zeit darauf kam noch ein älterer Mann, der auch zum Café zu gehören schien und innerhalb kürzester Zeit war ich nicht mehr alleine am Warten, sondern umringt von aserbaidschanischen Männern, die alle nicht wirklich Englisch sprachen, aber trotzdem alle mit mir reden wollten.

Ähnlich herzlich war es mit meiner Gastgeberin Narmin. Sie gab mir nicht nur ein ordentliches Bett, sondern kümmerte sich während meines gesamten Aufenthaltes in Baku um mich. Ihre eigenen Prioritäten stellte sie komplett hinten an und war für mich da. Wir gingen zusammen zu einer Reception im Four Seasons, besahen die Stadt, waren zwei Mal am Strand, guckten uns alte Bohrinseln und die James Bond Oil Fields aus "The World Is Not Enough" in der Umgebung Baku's an, wir gingen Abends aus, und sie organisierte meine Weiterfahrt per Frachtschiff als einziger Tourist an Bord über das Kaspische Meer nach Kasachstan. Auch hier war es wieder schwierig selber für mein Essen etc. aufzukommen. Sie bestand darauf das meiste zu bezahlen.

Auch im allgemeinen Umgang scheinen die Aserbaidschaner mitzudenken. Als ich einmal relativ hilflos im Bus stand mit meinem riesigen Backpack, machte ein Mann sofort Platz und bot sich an, mir mit meinem Backpack zu helfen. Auch bei dem Organisieren meines Bootstickets über das Kaspische Meer, stellte sich ein Wachmann des Hafens als überaus hilfreich heraus. Er erfragte die Telefonnummer meines Gastgebers und rief von da an täglich ,zum Teil von sich aus, an, wie die Lage am Hafen war und ob ein Frachtschiff nach Kasachstan übersetzen würde. Am 6ten Juni war es dann so weit. Der uns helfende Wachmann informiert uns, dass um 15 Uhr ein Frachtschiff übersetzen würde und dann ging alles ganz schnell. Narmin und ich fuhren zum Hafen, kauften ein Ticket und dann ging es weiter mit dem Taxi zum außerhalb von Baku gelegenen Frachthafen. Dort ging ich an Bord des Frachtschiffes. Neben der Crew und mir waren noch drei Geschäftsreisende, zwei Südkoreaner und ein Iraner, an Bord, ansonsten 56 Eisenbahn-Waggons. Der Zielhafen ist Aktau und ich bin auf Kasachstan gespannt. Ich habe in die Gegenwartsform gewechselt, da ich den Aserbaidschan-Eintrag gerade auf der 25 stündigen Überfährt auf dem Kaspischen Meer schreibe.
Alte Öplattformen vor dem Strand von Baku
Alte Öplattformen vor dem Strand von Baku
Auf der unerwarteten Reception im Four Seasons mit meiner Gastgeberin Narmin
Auf der unerwarteten Reception im Four Seasons mit meiner Gastgeberin Narmin
Heydar Aliev Center in Baku
Heydar Aliev Center in Baku
Überfahrt auf dem Frachtschiff von Aserbaidschan nach Kasachstan. Die Frisur sitzt!
Überfahrt auf dem Frachtschiff von Aserbaidschan nach Kasachstan. Die Frisur sitzt!

Georgien - ein kleiner Nachtrag

Georgien 2

Nachdem sich der letzte Bericht vor allem auf Batumi bezog, möchte ich bei diesem Eintrag nochmal bei Georgien bleiben, diesmal jedoch mit Fokus auf Tiflis, der Hauptstadt des Landes. Auch zu Georgien allgemein möchte ich noch ein paar Worte verlieren.

Bereits erwähnt hatte ich, dass ich durch die Juristen-Clique in Batumi schnell Fuß fassen konnte in Tiflis, wo ich 7 Tage verbrachte. Die ersten vier Nächte verbrachte ich bei Mariam, einer Medizinstudentin, die außerhalb des Zentrums in der Nähe des Krankenhauses wohnte. Jeden Morgen brauchte ich weit über eine Stunde in die Innenstadt, nicht auf Grund der Größe von Tiflis, sondern wegen der gnadenlos überlasteten Infrastruktur der Stadt. Bei der lieben Mariam verbrachte ich eine sehr erholsame Zeit (inkl. abends Film gucken und leckerem Essen), wechselte aber nach einigen Nächten den Schlafplatz zu Georgi in die Innenstadt, da ich mir dann die täglichen langwierigen Strapazen der Anfahrt ins Zentrum sparen konnte. Mein neuer Gastgeber Georgi sprach vorzügliches Deutsch, allerdings kein Englisch. Dies machte die Konversation immer etwas schwierig, sobald ein Georgier hinzukam, der als Fremdsprache nur Englisch verstand. Dann mussten wir immer über ein komisches Georgisch-Englisch-Deutsch-Dreieck kommunizieren. Georgi hatte ich kennengelernt über Nika aus Batumi. So wie Mariam zuvor, gab sich Georgi unglaubliche Mühe. Er zeigte mir die Stadt, stellte seine Bedürfnisse extrem zurück und versuchte mir den Aufenthalt bei ihm so angenehm wie möglich zu machen. Viele Abende wurde exzessiv getrunken und als Gast fühlte ich mich verpflichtet mitzuhalten. Diverse Male wurde über den Durst getrunken. Noch nie war ich in einem Land, welches so viel Alkohol konsumiert. Als ich das Thema gegenüber einer georgischen Freundin auf einer Anhöhe mit Aussicht über Tiflis ansprache, ließ sie ihren Arm über die Stadt schweifen und meinte "In Georgia we are all alcoholics." Diese Aussage ist übertrieben, in der Tendenz stimmt sie jedoch.

Unter der Woche mussten meine Gastgeber selbstverständlich arbeiten. Diese Zeit, weg von meinem Gastgeber, verbrachte ich in Tiflis mit zwei Hauptaktivitäten:
1.) In Cafés sitzen, Blog schreiben, Mails beantworten, lesen etc. In diesen Stunden genoß ich das Alleinesein. So schön das Gastsein auch ist, so anstrengend wird es nach einer gewissen Zeit. Sich immer wieder auf neue Menschen, auf neue Schlafplätze, auf neue Tagesrhythmen einzulassen, zerrt an den Kräften. Wann immer ich ein paar Stunden alleine in einem Café hatte, genoß ich es in vollen Zügen! Hinzu kommt, dass in Tiflis in letzter Zeit ein paar wirklich gute Cafés aufgemacht haben. Einschlägige Namen hier sind 'Lolita' oder das 'Strada'.
2.) Georgische Freunde in ihrer Mittagspause treffen und zusammen die Mittagsstunden verbringen. Dabei etwas spazieren gehen, oder zusammen essen und/oder Kaffee trinken.

Am 1. Juni um 16 Uhr nahm ich den Bus von Tiflis nach Baku. Die Nachtfahrt war extrem ruckelig und unangenehm, jedoch erleuchtet durch einen neuen menschlichen Kontakt zu einem Mitreisenden. Aber dazu mehr in meinem Aserbaidschan-Eintrag.

Zu Batumi, der Stadt am Mittelmeer, will ich noch bezüglich des Hauptzwecks des Ferienortes einen kleinen Anhang schreiben. Bereits erwähnt hatte ich, dass viele Russen im Sommer in die Stadt kommen. Nicht erwähnt hatte ich, dass auch viele Urlauber aus den muslimischen Ländern Türkei, Aserbaidschan und dem Iran kommen. Die Georgier meinten zu mir, dass einer der Hauptvorteile, für Reisende aus den zuletzt genannten Ländern, die georgische Freizügigkeit ist. Außerdem ist Prostitution und Glücksspiel in Georgien erlaubt und der Alkohol ist billig. Das Ergebnis ist, dass gerade die Türken im Sommer den Badeort Batumi überschwemmen, um billig Glücksspiel, Alkohol und Sex zu konsumieren. Meine erste Unterkunft in Georgien, das Freudenhaus, stellte sich später auch als keine Seltenheit in der Stadt heraus, sondern vielmehr als Norm.

Georgien - etwas ganz Besonderes

Der Georgieneintrag wird in einzelne Teilüberschriften gegliedert sein:

Reiseüberblick
Georgische Widersprüche 
Ein bisschen georgische Politik

Reiseüberblick

Batumi (19. Mai - 21. Mai): 21. Bett, 10. Hotel
Batumi (21.Mai - 24.Mai): 22. Bett, 11. Wohnung
Tbilisi (24.Mai - 28.Mai): 23. Bett, 12. Wohnung
Tbilisi (28.Mai - 1.Juni): 24. Bett, 13. Wohnung

Georgien ist schwer in Stereotypen zu beschreiben. Vieles funktioniert in diesem Land sehr vorbildlich, vieles funktioniert gar nicht. Dieser Umstand ist gepaart mit der Eigenschaft, dass das Land sehr klein ist. Mit weniger als vier Millionen Einwohnern hat Georgien ca. die Einwohneranzahl von Berlin, will aber trotzdem als ehrenwertes Land mit Rang in der Welt wahrgenommen werden. Auch ist das Land durchsetzt von scheinbaren Paradoxen, wie zum Beispiel dem Verhältnis zu Russland, oder dem zur EU. Aber später dazu mehr.

Um euch von der bescheidenen Größe des Landes zu überzeugen, reicht es aus über die Resonanz des Auftritts von Robbie Williams in der Hauptstadt Tbilisi am 27ten Juni zu berichten. Schon Tage davor erzählte mir jeder zweite Gesprächspartner, dass ja nun bald Robbie Williams in die Stadt kommen würde und nach dem Konzert wurde das Event breit in den Nachrichten besprochen, inklusive stolzen Kommentars des Kulturministers, dass das Konzert klasse gewesen sei und man sich über die Maße freue einen solch großen Star in Tbilisi willkommen geheißen zu haben. Als ich diese Aufruhr um einen mittelmäßigen Star, dessen beste Zeit vorüber ist, mit dem Aufsehen verglich, welche selbst die größten Popstars in Berlin bekommen, musste ich schmunzeln. Die Aufregung um Robbie Williams beschreibt sehr gut, in welcher Größenordnung Georgien unterwegs ist.

Meine bescheidene Ankunft in Georgien war lange nicht so glorreich wie die von Robbie Williams. Ich kam aus der Türkei an einem sehr regnerischen Tag an. Die Straßen hatten sich zu Flüssen verwandelt und ich hatte weniger das Gefühl es würde regnen, als vielmehr dass jemand volle Eimer mit Wasser über mir ausschütten würde. Darüber hinaus vergaß mich der Bus an der Grenze. Mein Busticket war ausgestellt von Trabzon(Türkei) nach Batumi(Georgien), aber anstatt mich auf der georgischen Seite der Grenze wieder einzusammeln, ließ mich der Reisebus im strömenden Regen stehen. Ich wartete noch fast zwei Stunden auf den Bus, in der Hoffnung, dass dieser doch noch um die Ecke kommen würde, jedoch vergebens. Nach diversem Rumfragen fand ich einen Minibus mit dem ich für umgerechnet 40 Cent zu meinem nicht mehr all zu weit entfernten Endziel fahren konnte. In Batumi angekommen war es bereits nachts und es regnete noch immer enorm. Ich wollte, nachdem ich mich in einem Restaurant ein wenig aufgewärmt hatte, so schnell wie möglich einen Schlafplatz finden. Nach nicht all zu langem Suche wurde ich fündig. Die Unterkunft war extrem dreckig und runtergekommen, aber der Preis schien ok. Froh endlich angekommen zu sein, breitete ich meinen Schlafplatz auf dem Bett aus, um mit dem Laken möglichst wenig in Kontakt zu kommen, und schlief erschöpft ein.

Am Abend des nächsten Tages traf ich Nika. Den Kontakt zu ihm hatte ich über eine Freundin von Andia, der albanischen Couchsurferin, bekommen. Nika stellte sich als ein außerordentlich netter Kerl heraus, der mich dazu veranlasste fünf Tage, anstatt der geplante zwei Tage, in der Küstenstadt des Schwarzen Meeres, Batumi, zu bleiben. Nika wurde nach der zweiten Nacht auch mein Gastgeber und er führte mich ein in eine Gruppe von Jurastudenten, von denen die meisten am georgischen Verfassungsgericht arbeiten. Auch war ich Nika dankbar, dass ich bei ihm schlafen konnte, denn meine ursprüngliche Hotel-Unterkunft, die ich in der regnerischen Nacht aufgefunden hatte, stellte sich als eine Absteige heraus, welche von Prostituierten und ihren Kunden auf Stundenbasis gemietet wird. Einmal wurde mir an der Rezeption morgens um 10 Uhr mit Zeichensprache zu verstehen gegeben, ob ich nicht Sex kaufen wöllte. Die Konversation war extrem unangenehm, da ich für mindestens fünf Minuten nicht verstand, dass meine Gesprächspartnerin eine Prostituierte war, sie mir ihre Dienste anbot und ich in einem Haus für bezahlten Sex untergekommen war. Die Funktion meiner Unterkunft wurde spätestens dann klar, als ich einmal nachts spät nach Hause kam und eine Prostituierte mit ihrem Kunden sich im engen Treppenhaus an mit vorbei schob. Froh, aus dem Freudenhaus raus zu sein, verbrachte ich eine Klasse Zeit in einem der Plattenbauten, etwas außerhalb von Batumi, in der Wohnung meines neuen Gastgebers Nika.

Georgien ist berühmt für die Gastfreundschaft, aber man muss es vermutlich erlebt haben, um es vollkommen nachvollziehen zu können. Ab dem Zeitpunkt, an dem ich bei Nika zu Gast war, hatte ich keine Möglichkeit mehr zu bezahlen. Zu Beginn hatte ich umgerechnet ca. 100 Euro abgehoben, da ich fast zwei Wochen in Georgien bleiben würde. Das Geld auszugeben war gar nicht so leicht, denn Nika und seine Freunde bestanden darauf alles für mich zu bezahlen: Die Bustickets, das Bier, den Kaffee, das Essen, alles! Ich wollte mich revanchieren, aber sie ließen mich nicht.

Auch für die weiteren Unterkünfte außerhalb Batumis wurde durch meine neuen georgischen Freunde gesorgt. Am ersten Abend, an dem ich Nika und seine Freunde antraf, stritten sich die Georgier im Spaß darum, bei wem ich Gast sein sollte. Zehn Minuten lang warfen sich alle Gesprächsteilnehmer, die eine Wohnung zur Verfügung hatten, Argumente an den Kopf, wer der bessere Gastgeber sei. Die Argumente fingen an mit, "Meine Wohnung ist die sauberste" und "Aber du hast kein Internet", zu "Ich habe eine tolle Musikanlage" und "mein Gastbett ist das Gemütlichste". Am Ende blieb ich bei Nika, aber solch einen Drang nach Gastfreundschaft habe ich noch in keinem Land erlebt! Auch wurde ich durch Nika weitergeleitet an Freunde in Tbilisi. Seitdem ich in der Juristen-Clique in Batumi Fuß gefasst habe, habe ich Unterkünfte in ganz Georgien.
Batumi: Hochhaus, welches von der Partei UNM angefangen wurde und jetzt durch die Partei Georgian Dream "boykottiert" und leer, ohne Funktion, stehen gelassen wird.
Batumi: Hochhaus, welches von der Partei UNM angefangen wurde und jetzt durch die Partei Georgian Dream "boykottiert" und leer, ohne Funktion, stehen gelassen wird.

Georgische Widersprüche

Zuvor hatte ich von den Paradoxen gesprochen, von denen Georgien durchdrungen zu sein scheint. Zum Beispiel haben die Georgier nichts gegen das russische Volk, hassen jedoch die Politik der russischen Regierung. Für die Georgier wird zwischen russischem Volk und Regierung eine klare Trennlinie gezogen. So ist es möglich im Sommer unzählige Russen als liebe Gäste im Badeort Batumi zu beherbergen, solange man nicht anfängt über Politik zu sprechen. Dann fliegen die Fäuste. Wenn man sich aber an diese einfache Regel hält, also so tut, als wenn es keine politischen Konflikte gäbe, dann ist der gemeine Russe sehr willkommen in Georgien.

Ein anderer Widerspruch, in meinen Augen, ist der scheinbare Drang vieler Georgier, so frei und nicht-regelgebunden zu leben wie möglich und gleichzeitig wirtschaftlichen Fortschritt zu verlangen. Georgier wollen in die EU, nicht zuletzt um dem drohenden Nachbarn Russland zu entweichen, sind scheinbar aber nicht bereit, dafür ihre individuelle Freiheit (zum Beispiel scheinbar keine Verkehrsregeln, überall rauchen, etc.) aufzugeben. Die EU-Flagge, welche im ganzen Land neben der Georgien-Flagge weht, beschreibt somit eher ein ausgelotetes Ziel, als greifbare Realität. Wie ein Georgier mal zu mir sagte: "The EU-flag shows merely our ambitions".
An der Türkei-Georgien-Grenze im strömenden Regen und mit großer EU-Flagge
An der Türkei-Georgien-Grenze im strömenden Regen und mit großer EU-Flagge

Ein bisschen georgische Politik

Da wir nun schon auf den politischen Pfaden wandeln, will ich schnell noch ein paar Worte zu der jungen politischen Vergangenheit des Landes verlieren. Hier ein kleiner Exkurs über die letzten 13 Jahre Georgiens:

1991:
Unabhängigkeit Georgiens von der Sowjetunion. Allerdings versingt das Land in der Folge in Korruption und wirtschaftlicher Stagnation.

2003:
Rosenrevolution - die Regierung wird abgesetzt und es finden Neuwahlen statt. UNM (United National Movement) wird mit überragender Mehrheit (96% der Stimmen) ins Amt gewählt. Micheil Saakaschwili wird Präsident.
Neun Jahre wirtschaftlichen Wachstums aber auch der absolute Kontrolle des Landes beginnen. Der Geist der Sowjetunion sollte den Menschen ausgetrieben werden. Eine Maßnahme der neuen Regierung war es, einmal in allen drei Monaten einen unangekündigten und verdeckten Kontrolleur jedem Restaurant einen Besuch abstatten zu lassen, um Essen sowie Service zu beurteilen. Sofern der Kellner nicht schnell genug die Bestellung aufnahm, oder das Essen lieblos verteilte, gab es Minuspunkte und eine offizielle Verwarnung. Sofern der Services bei der nächsten Kontrolle sich nicht verbessert hatte, wurde dem Restaurant eine Strafe verhängt. Auch gab es während dieser Zeit keine Toleranz gegenüber Kriminalität. Wer unter dem Regime der UNM eine Straftat tat, wurde ins Gefängnis geschickt. Egal was es war, selbst die kleinste Straftat wurde mit einer Gefängnisstrafe bezahlt. Und es zeigte Wirkung. Beamten, denen die Bestechlichkeit nachgewiesen wurde, mussten ihr Eigentum abgeben und landeten im Gefängnis. Fast alle Polizisten wurden entlassen und ersetzt. Alltägliche Korruption wurde so gut wie ausgemerzt und Diebstahl wurde eine Seltenheit. Heute wird Georgien als eines der sichersten Länder Europas gezählt. Unter all der Kontrolle durch den Staat litten allerdings die freie Meinungsäußerung und politische Oppositionelle landeten im Gefängnis. Auch wurden die Gerüchte immer lauter, dass die Regierung UNM Gefängnisinsassen folterte und selber auf höchster Ebene korrupt war. So viel die Partei UNM für das Land getan hatte, so stark schlugen sie zum Ende ihrer Amtszeit über die Stränge.
2012: Wahlen. Die Partei Georgian Dream (GD) wird in die Regierung gewählt. Führer der Partei ist der Milliardär Bidsina Iwanischwili, welcher sein Geld in Russland gemacht hat. Obwohl Bidsina Iwanischwili "nur" Parteivorsitzender der regierenden Partei ist, hat er praktisch die Zügel in Georgien in der Hand, da er der Geldgeber der der Partei Georgian Dream ist und so Druck auf den Kanzler, so wie den Präsidenten ausübt, welche beide Mitglieder der Partei GD sind. Seitdem die neue Regierung ins Amt gekommen ist, scheint Georgien seinen wirtschaftlichen Schwung verloren zu haben. Korruption von Polizisten nimmt wieder zu (wie ich selber erfahren habe), von der UNM beauftragte Gebäude werden unter der Partei GD nicht fertiggestellt und internationalen Investoren fehlt das Vertrauen in die gegenwärtige Regierung und somit in das Land.

2016:
Wahlen finden bald statt und es wird ein sehr spannendes Wettrennen zwischen der UNM und der GD. Zum einen sind die Gerogier von der Partei United National Movement (UNM) abgeschreckt, da diese folterte und einen sehr autoritären Führungsstil hatte, zum anderen sind die Georgier es leid, eine Partei wie den Georgian Dream (GD) in der Regierung zu haben, welche den wirtschaftlichen Schwung bremst und Alltagskorruption zulässt. Die kommende Wahl wird über die Zukunft des Landes entscheiden.


Eine Sache steht jedoch fest: In Georgien geht es voran. Mal geht es schneller und dann wieder nicht so schnell, aber es geht in die richtige Richtung. Eine Sache, die ich als extrem beeindruckend in dem Land wahrnahm, ist, dass nach der Rosenrevolution 2003 nicht nur die Polizisten ausgewechselt wurden, sondern praktisch die komplette Führungselite. Da aber keine alten erfahrenen Menschen vor Ort waren, die nicht durchdrängt waren von der sowjetischen Mentalität, der Korruption und dem Nepotismus, wurden zahlreiche junge Menschen eingesetzt und werden bis heute eingesetzt. Das Ergebnis ist, dass einer meiner georgischen Freunde im Alter von 25 Jahren Sprecher des Verfassungsgerichts ist. Die Schwester einer georgischen Freundin, welche selber mit 25 Jahren eine Senior Position beim georgischen International Transperancy innehat, wurde mit 21 Jahren zur Staatsanwältin benannt. So komisch das Ernennen von Anfang-20jährigen klingen mag, so nötig war es vermutlich, um mit dem alten korrupten System aufzuräumen. Sicherlich war es ein sehr gewagter Schritt die erfahrenen Menschen zu entlassen und Jungspunde einzusetzen, aber ich habe mit besagten jungen Leuten meine gesamte Zeit in Georgien verbracht und ich bin mir sicher, dass das Fehlen an Wissen durch Motivation und demokratische, soziale, solidarische Werte wettgemacht wird. Die jungen georgischen Leute von Heute, die erst noch in ihre Verantwortungspositionen herienwachsen müssen, haben eine Mammutaufgabe vor sich, haben die Aufgabe vor sich, ein ganzes Land neu auszurichten. Ich wünsche viel Erfolg dabei!
Hiking in Kazbegi bei Tbilisi
Hiking in Kazbegi bei Tbilisi

Türkei, Türkei

Die folgenden zwei Abschnitte gehören zu dem Türkei-Eintrag, und sind inhaltlich unterteilt. Der erste Abschnitt behandelt, wie ich die politische Situation im Lande wahrgenommen habe. Der zweite Abschnitt spricht über meine Stationen in der Türkei und wie ich diese als Tourist erfahren habe. Goethe sagte einmal sinngemäß, nachdem er einen langen Text an einen Freund verfasst hatte, dass es ihm Leid täte, aber er hätte keine Zeit gehabt sich kurz zu fassen. Das gleiche gilt für den meinigen unteren Text. Verzeiht die Länge, aber ich brauche schließlich auch ein bisschen Zeit außerhalb der Cafés, in denen ich den Blog schreibe, um die Länder auf mich wirken zu lassen!
Türkei, Türkei
Türkei, Türkei

Türkei - eine grobe Einschätzung der politischen Situation

Izmir (12. Mai - 13. Mai): 16.Bett, 8. Wohnung
Bus zwischen Izmir-Ankara (13. Mai - 14.Mai): 17. Bett, 1.Bus
Ankara (14. Mai - 16. Mai): 18. Bett, 9. Wohnung
Samsun (16.Mai. -18.Mai): 19. Bett, 10. Wohnung
Trabzon (18.Mai - 19.Mai): 20. Bett, 9.Hotel

In den deutschen Nachrichten bekommen wir andauernd mit, wie Erdogan die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei einschränkt. Wenn man das in den Nachrichten sieht, dann hat man oft das Gefühl, dass man einseitiger Berichterstattung lauscht. Zu sehr ähneln sich all die Nachrichten, die man aus der Türkei mitbekommt. Aber ich war da und ich kann euch sagen: es stimmt! Die Türkei macht einen Ruck nach rechts durch und wenn man darauf achtet und mit Türken spricht, gerade jungen Türken, dann ist es eindeutig zu spüren. Im Land brodelt es!

Zuallererst ist zu sagen, dass das türkische Volk auf mich einen gespaltenen Eindruck macht. In jedem Land gibt es gewisse Unstimmigkeiten. Süddeutsche machen Scherze über Norddeutsche und umgekehrt und das gleiche gilt für West- und Ostdeutsche. Es wird ein bisschen über Stromtrassen geplänkelt und über die Maut. Aber in der Türkei ist es etwas anderes. Hier sind es keine Scherze mehr und keine Plänkeleien, sondern fundamental unterschiedliche Ansichten darüber, wie das Land geführt werden sollte.
Es beginnt mit der Religion. Ein Teil der Bevölkerung spricht sich für mehr Einfluss des Islams aus und der andere Teil spricht sich gegen den verbreiteten Einfluss des Islams aus. Die jungen Frauen, die Studentinnen, tragen fast nie Kopftücher, während die älteren Frauen vermehrt Kopftücher tragen. Die Religionsfrage ist also auch eine Generationsfrage. Interessanterweise waren die Kinder der Schule in Samsun verblüfft als sie mich fragten, ob ich Muslim sei und ich das verneinte. Die weitergehende Frage der Kinder war: "But why not?" und ich sagte, dass meine Eltern schon christlich gewesen seien und ich deswegen auch christlich bin und das verstanden die Kinder nicht und wiederholten ihre Frage mit "But why?". Später fragte ich die Lehrerin nach diesem Vorfall und sie meinte, dass das Bildungssystem so auf den Islam gemünzt sei, dass es nicht überraschend sei, wenn die Kinder einen einen Nicht-Muslim überrascht sind. Später baten Kinder der Schule den Argentinier Joel etwas auf Türkisch nachzusagen. Joel sagte es nach und alle Kinder waren glücklich und lachten. Daraufhin übersetzte unsere türkische Begleiterin Beyza uns, dass das soeben von Joel gesagte ein muslimischer Vers sei, den Menschen aufsagen, um zum Islam zu konvertieren und die Kinder auf Türkisch sich gefreut hätten und ausgerufen hätten "Jetzt bist du ein Muslim!". Einen solchen Fokus auf die Religion im Bildungssystem kommt mir für einen säkularen Staat sehr geheuchelt vor, wenn Kinder der Grundschule bereits so fokussiert auf den Islam sind. 

Ich möchte das Verhalten der Kinder nicht überinterpretieren, aber trotzdem meine ich gewisse Tendenzen wahrgenommen zu haben. So fragte ich einmal in die Runde der Kinder wer denn schonmal im Ausland gewesen sei. Zwei Kinder meldeten sich und sagten, dass sie schonmal Verwandte in Deutschland besucht hätten. Das dritte Kind meldete sich und sagte, dass es nicht ins Ausland wolle, da die Türkei wunderschön sei. Auch später kamen immer wieder fragen, wie: welches ist das schönste Land? Ich tat den Kindern nicht den Gefallen "Türkei" zu sagen und antwortet, dass die Türkei eines meiner ca. 200 Lieblingsländer auf der Welt sei und jedes Land etwas besonders sei, mit all den jeweiligen Vor- und Nachteilen.

Aber zurück zu der politischen Spaltung des Landes. Sehr plump gesagt, kann man das Land in die Erdogan-Unterstützer und Gegner aufteilen. Die Erdogan-Anhänger sind älter, ländlicher, konservativer und eher religiös. Die Gegner sind eher westlicher, in den Städten, vielen jung, also unter 30, und nicht so religiös (Sehr stark vereinfachte Darstellung!). Im ganzen Land hängen Fahnen und Statuen von Atatürk, dem türkischen Führer, der vor ca. einem Jahrhundert die Türkei von der Besatzung verschiedenster europäischer Mächte befreite und eine radikale Modernisierung des Landes einleitete. Das ganze Land ist überseht mit Denkmälern an ihn. Je weiter man in den Osten kommt, desto mehr werden die Atatürk-Flaggen jedoch durch Erdogan-Flaggen ersetzt. So hängt an jeder zweiten Brücke im tiefen Osten der Türkei eine ca. 3x5 Meter große Türkei-Flagge mit dem Gesicht Erodgans und auch aus vielen Häusern hängt das Gesicht des zurzeitigen türkischen Staatsoberhauptes. Bei all den Flaggen könnte man meinen, dass die Türken ihre Banner aufhängen, um Stolz auf das Land zu zeigen, aber auf mich hat es einen anderen Eindruck gemacht. Auf mich schien es so, als wenn all die Türken, die so unterschiedliche Weltanschauung haben, sich unter einer Flagge zu versammeln versuchen, nicht aus Stolz auf ihr Land, sondern aus Verzweiflung, dass die Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppe zu groß sein könnten. Der kleinste gemeinsame Nenner den alle Türken finden, ist ihre Flagge. Leider ist der kleinste gemeinsame Nenner nicht eine gemeinsame Wertevorstellung, oder Rechtssystem, oder gar Religion, sondern lediglich eine Flagge, ein roter Fetzen Stoff mit einem weißen Mond und einem weißen Stern. Das soeben Geschrieben soll nicht abwertend klingen, soll aber doch veranschaulichen, dass es meiner Meinung nach nicht genug ist, den kleinsten gemeinsamen Nenner eines Volkes in einer gemeinsamen Flagge zu sehen.

Ein weiterer schockierender Fakt, den ich mitbekam, war, dass es in der Türkei keine politischen Satiriker mehr gibt. Ich zeigte einem meiner türkischen Bekannten die "Heute Show", um zu verdeutlichen, wie in Deutschland über die Türkei gesprochen wird. Es war witzig, auch für den Türken. Aber danach sagte mein türkischer Bekannter, dass es Satiriker früher in der Türkei gegeben hätte, diese jedoch von der Regierung immer wieder vor Gericht gezogen wurde und verurteilt und es deswegen heute keine aktiven großen Satiriker mehr in der Türkei gibt.

Gerade in Ankara, aber auch im Rest des Landes, merkt man die Polizeipräsens, auf Grund des Kriegszustandes, in dem die Türkei sich befindet. Sultana meinte, dass fast jeden Tag türkische Soldaten sterben. Sie meinte, dass man versucht, sich nicht an das Sterben zu gewöhnen, dies aber schwer sei, auf Grund der Häufigkeit von Todesfällen. Im Ankara Zentrum war ich bei den Orten, an denen seit Oktober 2015 drei Bombenanschläge stattfanden, der letzte im März 2016, also vor zwei Monaten. Insgesamt sind 176 Menschen dabei gestorben und viele Hunderte verletzt. Vor Ort zu sein, macht die Terroranschläge noch realer, als nur davon in den Nachrichten zu hören.

Die Türkei ist ein zerrüttetes Land und meine Meinung ist, dass es sich in keine gute politische Richtung entwickelt. Wirtschaftlich scheint die Nation gut auf Zack zu sein, politisch kein bisschen. Es bleibt nur zu hoffen, dass bald eine Phase der Besinnung und einer erneuten Öffnung nach außen einsetzt. Dies ist allerdings nicht zu erwarten.

Türkei - ein Überlick über meine Türkei-Route

Izmir (12. Mai - 13. Mai): 16.Bett, 8. Wohnung
Bus zwischen Izmir-Ankara (13. Mai - 14.Mai): 17. Bett, 1.Bus
Ankara (14. Mai - 16. Mai): 18. Bett, 9. Wohnung
Samsun (16.Mai. -18.Mai): 19. Bett, 10. Wohnung
Trabzon (18.Mai - 19.Mai): 20. Bett, 9.Hotel

Es ist beeindruckend, wieviel Landesgrenzen ausmachen können. Die Grenze Türkei-Griechenland ist eine dieser Grenzen, bei denen man übertrieben stark merkt, dass man in einem neuen Land angekommen ist.
Auf den ersten Eindruck gibt die Türkei ein sehr gutes Bild ab. Überall wird gebaut. Viele Häuser sehen recht neu aus, so als wenn sie in den letzten 15 Jahren errichtet worden wären. In Izmir und Ankara wachsen Skylines aus futuristischen Hochhäusern. Ein halbes Dutzend sind zur Zeit alleine in Izmir gleichzeitig im Bau, jedes einzelne um die 150-200 Meter hoch. Das ganze Land ist von Flaggen überseht. Egal wo man hinschaut, man sieht eine Flagge. Von ganz klein bis riesig ist alles an türkischen Flaggen vertreten. Es könnte gut sein, dass man an einem Tag Türkei mehr türkische Flaggen sieht, als in einem gesamten Jahr Deutschland deutsche Flaggen. Die Straßen sind überragend gut - so wie in Deutschland. Auf meiner gesamte Reise einmal quer durch die Türkei habe ich keine einzige Holperstrecke gehabt und keine kaputten Brücke gesehen. Auch scheint alles sehr zackig Abzulaufen. Das türkische Boot aus Lesbos fuhr wie angekündigt um exakt 9:00 Uhr ab, der Bus, den ich später von dem Ort der Anlegestelle nach Izmir nahm, fuhr wie angekündigt um exakt 11:30 Uhr ab. Keine Verzögerungen. In meiner gesamten Zeit in der Türkei ist kein einziger meiner Busse verspätet abgefahren.

Aber nun weg von dem Oberflächlichen, hin zu den türkischen Menschen, den türkischen Individuen - kurz gesagt: hin zu dem, was wirklich zählt. Hin zu dem, was meine Reise motiviert.
Man sagt ja bekanntlich, die Türken seien gastfreundlich und das kann ich nur bestätigen. Als ich vom Boot stieg und zur Bushaltestelle lief, um einen lokalen Bus zur Fernbushaltestelle zu nehmen, war ich ziemlich verloren. Die durchschnittliche türkische Bevölkerung spricht kein Englisch, nicht mal Bruchstücke. So war ich etwas aufgeschmissen und wusste nicht, welchen Bus ich nehmen sollte und niemand schien mir helfen zu können. Schließlich half mir eine junge Türkin namens Sinem und ihre Mutter, die auch nach Izmir wollten. Total bemüht, mich als Gast in der Türkei willkommen zu heißen, nahm sich Sinem mir an, holte von da an die Bustickets für mich und war mein ständiger Begleiter und Übersetzer, bis wir in Izmir ankamen. Es ging sogar so weit, dass sie sich nicht nehmen ließ, mein Busticket für den lokalen Bus zu bezahlen.

In Izmir fand ich problemlos zu meinem Host, welcher ein Freund eines Freundes einer Freundin von mir ist. Dieser Kontakt war über Facebook zustande gekommen. Mein Host hieß Burak, sein Mitbewohner Alps und wir haben uns sehr gut verstanden.

In Izmir machte ich, nachdem ich Nachmittags zur Ruhe gekommen war, ein wenig Sightseeing, was in Izmir so viel heißt, an der mit türkischen Flaggen behangenen Promenade auf- und abzulaufen. Es war schön und ich genoß es, endlich in der Türkei angekommen zu sein. Auf dem Hin- und dem Rückweg von Buraks Wohnung zur Promenande bezahlte ich beide Male keine Gebühren für den Öffentlichen Nahtransport. In Izmir ist der öffentliche Nahverkehr so geregelt, dass man eine Plastik-Karte hat, welche man aufladen muss und die sich entlädt, jedes Mal wenn man einen Bus oder eine Bahn nimmt. Auf dem Hinweg zur Promenade scheine ich wieder ein bisschen hilflos ausgesehen zu haben und bevor ich mich versah, hatte bereits eine Frau ihre Karte für mich an den Leser gehalten und meine Fahrt bezahlt. Ich wollte mich bedanken, aber sie sah das als Selbstverständlichkeit. Auf dem Rückweg nahm ich mir fest vor, dieses Mal zu bezahlen und mich nicht noch ein DRITTES Mal an dem Tag beim Nahverkehr einladen zu lassen. Also lief ich zu dem Automaten, welcher die begehrten Nahverkehrstickets verkauft. Leider stellte sich heraus, dass ich, um mir ein Ticket zu kaufen, das Kleingeld passend in den Automaten hätte schieben muss. Das passende Kleingeld hatte ich jedoch nicht. Der Metro-Wärter sah meine Hilflosigkeit, verstand meine Situation und winkte mich kurzerhand durch die Absperrung. Ich bedankte mich mit einem beherzten "Thank You!" und war, nach nur einem halben Tag in der Türkei, drei Mal auf ein Nahverkehrs-Ticket eingeladen worden und damit vollends von der Gastfreundlichkeit der Türken überzeugt.

Abgesehen von der Promenade gibt es in Izmir allerdings nicht viel zu sehen. Die Stadt hat über drei Millionen Einwohner und alle wohnen in Plattenbauten. Dementsprechend gestaltet sich das Stadtbild. Der Reiz der Stadt sind viele Cafés, Restaurants und all die Studenten, die aus dem ganzen Land kommen, um in Izmir zur Universität zu gehen. Meine Unterkunft war in dem Studentenviertel Bornova. Die Cafés dort hatten echt einiges zu bieten. In einem Lokal konnte ich zum Beispiel zwischen ca. 50 verschiedenen Arten der Kaffeezubereitung wählen.

Am nächsten Tag nahm ich den Nachtbus von Izmir nach Ankara. Die neun Stunden Fahrt verbrachte ich größtenteils schlafend. Es war ein bisschen schade, dass ich die Landschaft nicht genießen konnte, aber ich entschied mich für den Nachtbus, um Zeit wett zumachen, die ich auf Grund des Streiks in Griechenland verloren hatte.

In Ankara angekommen, traf ich morgens eine türkische International Relations-Studentin namens Sultana, deren Studien-Fokus auf Zentral-Asien liegt. Sie zeigte mit den riesigen Campus der Universität ODTÜ, wir schlenderten von Restaurant zu Café zu Restaurant und sprachen viel über Politik, die deutsch-türkischen Beziehungen, Zentralasien, die Flüchtlingskrise und waren von der ersten Minute an auf einer Wellenlänge. Sie beeindruckte mich mit ihrem umfassenden Geschichtswissen und ihren fundierten politischen Meinungen.

Am Abend traf ich Ecem, meinen Host, bei der ich in Ankara bleiben würde. Ecem ist eine Medizinstudentin und kurz davor ein fertig ausgebildeter Doktor zu sein. Trotz ihrer knapp bemessenen Zeit kümmerte sie sich rührend um mich, gab mir frisches Gemüse als Begrüßung, da ich doch auf meiner Reise bestimmt viel Fastfood gegessen hätte und hatte sogar ein Gästezimmer für mich. Am Abend gingen wir aus und tagsüber zeigte sie mir ganz Ankara. Was für ein Glück ich doch mit all meinen Hosts bisher hatte. All das möglich gemacht durch Couchsurfing. Dieses Netzwerk ist echt etwas ganz besonderes!

Die Busfahrt nach Samsun an die Schwarzmeerküste von Ankara verlief auch ohne Zwischenfälle. In Samsun angekommen traf ich den bereits dritten Host in der Türkei. In Samsun wurde ich ebenfalls sehr herzlich aufgenommen. Meine Gastgeber waren besonders, da lediglich die offizielle Gastgeberin Beyza eine Türkin war und ihre Freundin Saeede, in dessen Wohnung ich dann später übernachten durfte, aus dem Iran kam.  Bei Beyza konnte ich nicht schlafen, da sie spontan einen Couchsurfer in Not aufgenommen hatte, namens Joel aus Argentinien. Joel ist schon seit über einem Jahr am Reise und wird noch ca. ein weiter Jahr reisen mit dem Ziel Australien. Die gesamte Strecke trampt er und bisher ist er in über 260 Autos mitgefahren und hat erst 19 Nächte im Hotel verbracht, sonst bei Couchsurfern oder im Zelt. In England hat er seinen Trip angefangen und ist jetzt in der Türkei. Im Durchschnitt braucht er 5€ am Tag. Beeindruckend.

Samsun war wieder eine Art Highlight auf meinem Trip, denn die Iranerin, bei der ich schlief, war Grundschullehrerin und sie hatte organisiert, dass wir am zweiten Tag mit zu ihr in die Schule gehen könnten. Die ganze Schule war aufgeregt, dass ein Argentinier und ein Deutscher zu Gast waren. Viele Kinder waren noch nie mit Nicht-Türken in Kontakt gewesen und auch für die Lehrer der Schule waren wir eine Attraktion. Insgesamt verbrachte wir ca. 6 Stunden in der Schule. Zuerst schauten wir uns das Gebäude an, welches sehr modern anmutete, da es erst vor drei Jahren gebaut wurde. Den Rest der Zeit verbrachten wir mit einer "Open Discussion". Drei Mal hintereinander füllten wir die Aula der Schule mit den Schülern zweier Jahrgänge und wurden mit Fragen konfrontiert. Völkerverständigung erste Sahne! Ich war stolz, auf der Bühne zu sein und den Kindern den Horizont ein wenig öffnen zu dürfen, zu vermitteln, dass es über Samsun und die Türkei noch andere Orte auf der Welt gibt, die es sich zu besuchen und zu mögen lohnt.

Von Samsun fuhr ich nach nur zwei Nächten entlang des Schwarzen Meers weiter nach Trabzon. Direkt am Schwarzen Meer verläuft eine große Straße, hinter der Straße sind entlang der gesamten Küste Häuser gebaut und hinter den Häusern sind Berge. Dieses Bild erstreckt sich über hunderte Kilometer, ohne Abbruch. Die türkische Schwarzmeerküste ist nicht ohne Grund kein touristisches Urlaubsziel. In Trabzon angekommen war ich von der Unansehnlichkeit der Stadt beinah beeindruckt. Diesem Ort konnte ich keine Schönheit abringen. Ein großer Hafen, ein großer Flughafen und viele graue Gebäude mit vielen lauten Autos. Meine Unterkunft war dreckig und dafür zu teuer. Ich war froh die Erfahrung Trabzon gemacht zu haben und ebenso froh am nächsten Morgen weiterzukommen. Wieder fuhr der Bus pünktlich ab und vier Stunden später war ich in Georgien.




Völkerverständigung - hip-hip-hurra!
Völkerverständigung - hip-hip-hurra!

Lesbos/ Mytilini

Lesbos/ Mytilini (11. Mai - 12.Mai): 15. Bett, 8. Hotel

Es war schön in Lesbos anzukommen. Zum einen war ich froh, aus der lauten Großstadt Athen rausgekommen und auf einer ruhigen Insel weit weg vom griechischen Festland zu sein, zum anderen war es sehr spannend die Insel zu sehen, über die in letzter Zeit so viel in den Nachrichten berichtet wurde.

Das erste Problem, dass sich mir in den Weg stellte, als ich mit meinem 40 kg - Rucksack in Lesbos eintraf, war, dass ich über das Internet, auf den einschlägigen Websites kein Hostel finden konnte. Keines der Hostels schien ein freies Bett zu haben. Ganz Mytilini (die Stadt in der ich mit dem Boot landete) schien ausgebucht zu sein. Ich setzte mich also in ein Restaurant, kam langsam auch innerlich in dem Ort an und überlegte, wie ich einen Schlafplatz für die Nacht finden könnte. Als ich die Kellnerin fragte, war sie sehr hilfsbereit. Sie telefonierte für ca. 10 Minuten ununterbrochen, bis sie jemanden gefunden hatte, zu dem ich gehen konnte, da er wissen würde, wo noch Platz sei. So fand ich letztendlich auch einen Schlafplatz. Der Grund für die karge Anzahl an Übernachtungsmöglichkeiten sind nicht etwas Flüchtlinge, die sich eingebuchtet haben, sondern NGOs aus der ganzen Welt.

Auch das Stadtbild ist geprägt von Immigranten. Ein paar Mal kamen Bettler zu mir, die offensichtlich Immigraten waren, aber die meiste Zeit blieb ich unbehelligt. Nachmittags machte ich einen Spaziergang zu der Küste, die dem türkischen Festland gegenüber liegt, mit dem Gewissen, dass in den vor mir liegenden Gewässern im letzten Jahr mehrere tausend Menschen gestorben sind. Ein bedrückendes Gefühl. Darüber, ob die Emotionen in der Gesellschaft von Lesbos angespannt sind oder nicht, will ich nichts sagen, da ich zu kurz auf der Insel wahr und leider keinen richtigen Anschluss an Einheimische finden konnte. Nichts desto trotz hat sich der kleine Umweg über Lesbos gelohnt, da ich dadurch in der Lage war, die Geografie einer humanitären Katastrophe begreifen zu können, die sich erst vor kurzen absepielte und im kleineren Maße immer noch stattfindet. Die Meerenge zwischen der Türkei und der Insel ist so "eng", dass man die andere Seite ohne Probleme sehen kann. Trotzdem brauchen die normalerweise von den Immigranten genutzten Boote ca. 2,5 Stunden für die Überquerung.

Am nächsten Tag ging es weiter mit dem Boot in die Türkei.
Die Meerenge zwischen der Türkei und der griechischen Insel Lesbos (EU)
Die Meerenge zwischen der Türkei und der griechischen Insel Lesbos (EU)

Athen - eine Art der Bilanz & Ägäisches Meer - mit einer schönen Fahrt

Athen (10. Mai) und Ägäisches Meer (10.Mai - 11.Mai): 14. Bett, 7. Hotel, 1. Schiff

Ich bin raus aus Athen, es gilt Bilanz zu ziehen, über eine Stadt, die mich mehr als doppelt so lange hielt, wie ich eingeplant hatte. Der Streik half auf jeden Fall nicht, Athen von seiner besten Seite zu zeigen, aber trotzdem glaube ich, dass der Streik etwas sehr griechisches war und es deswegen wertvoll war, so etwas mitzuerleben. Dabei war es bemerkenswert, wie souverän die Griechen mit der Streiksituation umgegangen sind. Ich kann mich noch erinnern, was in Berlin los war, während nur die S-Bahn ausfiel. Als die Menschen in Berlin auf Autos, Bus, U-Bahn und Straßenbahn auswichen, war trotzdem das komplette Chaos angesagt. Nicht so in Athen. Es scheint, die Griechen sind auf Streiks mittlerweile besser eingestellt. Viele gingen nicht zur Arbeit, es wurden Fahrgemeinschaften gebildet und das Leben ging weiter. Die Straßen in Athen sind während eines Streiks zwar stärker befahren als sonst, aber von der angespannten und genervten Stimmung, die zum Beispiel in der Berliner U-Bahn ausbricht, wenn lediglich die S-Bahn streikt, bekommt man in Athen selbst während eines Generalstreiks nichts mit. Hut ab für die souveräne Leistung an die Athener, die unter den andauernden Streiks zu leiden haben. Das Sprichwort "Übung macht den Meister" scheint auch auf die Bewältigung von Streiks zuzutreffen.

Der Athener Hafen fällt leider ganz schwer negativ ins Gewicht meiner Bilanz. Ich würde von mir behaupten, dass ich kein Tollpatsch bin, wenn es darum geht, mich in großen Infrastruktureinrichtungen, also Busbahnhof, Flughafen, Zugbahnhof oder Hafen, zurechtzufinden, aber so etwas wie den Athener Hafen, habe ich bei all meinen Reisen noch nie erlebt. Geschlagene 45 Minuten brauchte ich, um meinen Kai zu finden. Auf dem Weg dahin traf ich drei verschiedene Mitarbeiter an, welche ausnahmslos nicht hilfsbereit waren und es an Unfreundlichkeit auch nicht mangeln ließen. Nirgendwo hing eine Karte des Hafens aus, oder eine Beschriftung, an welchem Kai man sich genau befand. Die Busse, die für die Mobilität der Passagiere auf dem sehr großen Hafen zuständig waren, kamen in total unregelmäßigen Abständen. Zuerst kamen zwei hintereinander und dann kam einer, der nicht anhielt und dann kam für zwanzig Minuten kein Bus mehr. Es gab auf dem riesigen Hafengelände keine markierte Bushaltestellen, weshalb jeder Busfahrer mal hier, mal dort anhielt. Nachdem ich mich an eine junge griechische Familie gehängt hatte, die auch auf das gleiche Boot wollte, konnte ich endlich meinen Kai finden. Dort ging das Schauspiel dieser grausigen Hafen-Organisation weiter.
Die Fähre kam zu spät, mit der Konsequenz, dass die Passagiere warten mussten. Aber den Athener Hafen darf man sich nicht wie den Hafen einer glänzenden Metropole vorstellen, sondern eher als eine Platz am Meer, an dem ganz viel Beton zu einer Fläche am Wasser zusammengegossen wurde. Dieses Betongebilde wurde dann "Hafen Piraeus" getauft. Das Resultat sind mehrere riesige Betonplätze, auf denen Container als Dauerlösung aufgestellt sind, die Tickets für die Boote verkaufen. Aber zurück zu der immer größer werdenden Menschenmasse, die auf das verspätete Schiff wartete. Dies war nämlich für sich schon ein besonderer Anblick. Die mittlerweile weit über 1000 Menschen wurden nicht in irgendeiner Wartehalle aufgefangen, sondern, so wie es der "Betonhafen" vorsah, einfach auf dem Beton abgestellt. Rechts neben den Wartenden wurden LKWs mit Cargo be- und entladen. Geradeaus vor den Wartenden war das Wasser. Links neben der Menschenmasse wartenden die ganzen Autos, die auch auf die Fähre wollten, und hinter der riesigen Menschenansammlung waren mehrere hundert Zelte, bewohnt, unter unmenschlichen Bedingungen, von Flüchtlingen. Und um dem noch die Krone aufzusetzen, kamen aus allen möglichen Richtungen immer mal wieder Autos, die sich im Schritttempo durch die wartende Menschenmasse schlängelten. Eine Wartehalle gab es zwar an diesem Kai (wieder eine Art Container), aber diese "Wartehalle" fasste maximal 50 Leute, also nur einen Bruchteil der auf das Schiff wartenden Menschen.
Als das Boot endlich ankam, dachte ich vollends, dass ich in einem Entwicklungsland sei und nicht in der EU. Anstatt das "Boarding" organisiert durchzuführen, wurde an der Fähre eine Rampe geöffnet, woraufhin Menschen und PKWs GLEICHZEITIG anfingen, die Fähre zu verlassen UND zu betreten. Es war ein heilloses Durcheinander und half sicher nicht dabei, das bereits verspätete Schiff rechtzeitig aus dem Hafen zu kriegen. Am Ende verließ das Schiff Athen mit zweieinhalb Stunden Verspätung und an meinem Zielort Lesbos kam ich mit 4 Stunden Verspätung an.

Die Bootsreise über das Ägäische Meer verbuche ich sehr positiv, wenn man die Beton-Hafen-Erfahrung ausnimmt. Ich hatte ein nettes kleines Bett und die 16 Stunden an Bord habe ich großteils sehr entspannt verschlafen. Ehrlich gesagt habe ich an Bord besser geschlafen als in meinem letzten Hostel, was etwas bedeuten soll!

Die Bilanz geht erfreulich weiter. Es ist mir sehr positiv aufgefallen ist, wie viele Quittungen ich in Griechenland bekommen habe. Sowohl in Athen, wie auch auf der Insel Lesbos. So viele Quittungen bekomme ich in Deutschland nicht. An vielen Kassen In Griechenland steht, dass man kein Geld für eine Leistung zahlen muss, wenn der Verkäufer einem keine Rechnung gibt. Da scheint sich viel getan zu haben! Die Mehrwertsteuer scheint eingefahren zu werden. Respekt Griechenland!

Am vorletzten Tag traf ich mich noch einmal mit den Couchsurfern Nadia und Peny, die mich am ersten Tag des Streiks aus der Peripherie mit dem Auto ins Zentrum gefahren hatten. Wir hatten eine tolle Zeit, aber auch den beiden merkt man an, dass sie unter der wirtschaftlichen Rezession leiden. Nadia meinte einmal sehr einprägsam: "We may have the sun, the Acropolis and the old Greeks, but it's not enough!". Peny stimmt ein damit, dass die wirtschaftliche Lage sehr schlecht wäre, sie aber auch nicht das Gefühl hat, dass es besser wird, sondern auch in der Zukunft so bleiben wird wie es in der Gegenwart ist. Nadia hat nach ihrem Studium in Athen auf Grund fehlender Jobperspektiven ein Zweitstudium angefangen und würde gerne nach Italien auswandern. Peny hält sich mit temporären Beschäftigungen als Lehrerin auf Inseln über Wasser. Der Sohn der Gast-Familie Goudes, Jannis, plant auch sein Studium in Berlin zu machen. Der Brain Drain in Greichenland hat auf jeden Fall eingesetzt!

Athen war eine spannende Stadt und auf jeden Fall eine wichtige Zwischenetappe auf meiner Reise in den Osten. Überschattet vom Streik habe ich eine Seite Griechenlands mit Geduld wahrnehmen können, die man sonst nur aus den Nachrichten mitbekommt oder als gestresster 2-Wochen-Tourist, der seinen knapp bemessenen Urlaubszeit ins Wasser fallen lässt und sich nicht auf die wirtschaftliche, politische Not im Land einlassen kann. Ich wünsche Griechenland alles gute auf dem Weg der wirtschaftlichen Besserung!Ich bin raus aus Athen, es gilt Bilanz zu ziehen, über eine Stadt, die mich mehr als doppelt so lange hielt, wie ich eingeplant hatte. Der Streik half auf jeden Fall nicht, Athen von seiner besten Seite zu zeigen, aber trotzdem glaube ich, dass der Streik etwas sehr griechisches war und es deswegen wertvoll war, so etwas mitzuerleben. Dabei war es bemerkenswert, wie souverän die Griechen mit der Streiksituation umgegangen sind. Ich kann mich noch erinnern, was in Berlin los war, während nur die S-Bahn ausfiel. Als die Menschen in Berlin auf Autos, Bus, U-Bahn und Straßenbahn auswichen, war trotzdem das komplette Chaos angesagt. Nicht so in Athen. Es scheint, die Griechen sind auf Streiks mittlerweile besser eingestellt. Viele gingen nicht zur Arbeit, es wurden Fahrgemeinschaften gebildet und das Leben ging weiter. Die Straßen in Athen sind während eines Streiks zwar stärker befahren als sonst, aber von der angespannten und genervten Stimmung, die zum Beispiel in der Berliner U-Bahn ausbricht, wenn lediglich die S-Bahn streikt, bekommt man in Athen selbst während eines Generalstreiks nichts mit. Hut ab für die souveräne Leistung an die Athener, die unter den andauernden Streiks zu leiden haben. Das Sprichwort "Übung macht den Meister" scheint auch auf die Bewältigung von Streiks zuzutreffen.

Der Athener Hafen fällt leider ganz schwer negativ ins Gewicht meiner Bilanz. Ich würde von mir behaupten, dass ich kein Tollpatsch bin, wenn es darum geht, mich in großen Infrastruktureinrichtungen, also Busbahnhof, Flughafen, Zugbahnhof oder Hafen, zurechtzufinden, aber so etwas wie den Athener Hafen, habe ich bei all meinen Reisen noch nie erlebt. Geschlagene 45 Minuten brauchte ich, um meinen Kai zu finden. Auf dem Weg dahin traf ich drei verschiedene Mitarbeiter an, welche ausnahmslos nicht hilfsbereit waren und es an Unfreundlichkeit auch nicht mangeln ließen. Nirgendwo hing eine Karte des Hafens aus, oder eine Beschriftung, an welchem Kai man sich genau befand. Die Busse, die für die Mobilität der Passagiere auf dem sehr großen Hafen zuständig waren, kamen in total unregelmäßigen Abständen. Zuerst kamen zwei hintereinander und dann kam einer, der nicht anhielt und dann kam für zwanzig Minuten kein Bus mehr. Es gab auf dem riesigen Hafengelände keine markierte Bushaltestellen, weshalb jeder Busfahrer mal hier, mal dort anhielt. Nachdem ich mich an eine junge griechische Familie gehängt hatte, die auch auf das gleiche Boot wollte, konnte ich endlich meinen Kai finden. Dort ging das Schauspiel dieser grausigen Hafen-Organisation weiter.
Die Fähre kam zu spät, mit der Konsequenz, dass die Passagiere warten mussten. Aber den Athener Hafen darf man sich nicht wie den Hafen einer glänzenden Metropole vorstellen, sondern eher als eine Platz am Meer, an dem ganz viel Beton zu einer Fläche am Wasser zusammengegossen wurde. Dieses Betongebilde wurde dann "Hafen Piraeus" getauft. Das Resultat sind mehrere riesige Betonplätze, auf denen Container als Dauerlösung aufgestellt sind, die Tickets für die Boote verkaufen. Aber zurück zu der immer größer werdenden Menschenmasse, die auf das verspätete Schiff wartete. Dies war nämlich für sich schon ein besonderer Anblick. Die mittlerweile weit über 1000 Menschen wurden nicht in irgendeiner Wartehalle aufgefangen, sondern, so wie es der "Betonhafen" vorsah, einfach auf dem Beton abgestellt. Rechts neben den Wartenden wurden LKWs mit Cargo be- und entladen. Geradeaus vor den Wartenden war das Wasser. Links neben der Menschenmasse wartenden die ganzen Autos, die auch auf die Fähre wollten, und hinter der riesigen Menschenansammlung waren mehrere hundert Zelte, bewohnt, unter unmenschlichen Bedingungen, von Flüchtlingen. Und um dem noch die Krone aufzusetzen, kamen aus allen möglichen Richtungen immer mal wieder Autos, die sich im Schritttempo durch die wartende Menschenmasse schlängelten. Eine Wartehalle gab es zwar an diesem Kai (wieder eine Art Container), aber diese "Wartehalle" fasste maximal 50 Leute, also nur einen Bruchteil der auf das Schiff wartenden Menschen.
Als das Boot endlich ankam, dachte ich vollends, dass ich in einem Entwicklungsland sei und nicht in der EU. Anstatt das "Boarding" organisiert durchzuführen, wurde an der Fähre eine Rampe geöffnet, woraufhin Menschen und PKWs GLEICHZEITIG anfingen, die Fähre zu verlassen UND zu betreten. Es war ein heilloses Durcheinander und half sicher nicht dabei, das bereits verspätete Schiff rechtzeitig aus dem Hafen zu kriegen. Am Ende verließ das Schiff Athen mit zweieinhalb Stunden Verspätung und an meinem Zielort Lesbos kam ich mit 4 Stunden Verspätung an.

Die Bootsreise über das Ägäische Meer, ausgenommen die Beton-Hafenerfahrung, verbuche ich sehr positiv. Ich hatte ein nettes kleines Bett und die 16 Stunden an Bord habe ich großteils sehr entspannt verschlafen. Ehrlich gesagt habe ich an Bord besser geschlafen als in meinem letzten Hostel, was etwas bedeuten soll!

Meine Bilanz möchte ich positiv abschließen. Es ist mir sehr sehr positiv aufgefallen ist, wie viele Quittungen ich in Griechenland bekommen habe. Sowohl in Athen, wie auch auf der Insel Lesbos. So viele Quittungen bekomme ich in Deutschland nicht. An vielen Kassen In Griechenland steht, dass man kein Geld für eine Leistung zahlen muss, wenn der Verkäufer einem keine Rechnung gibt. Da scheint sich viel getan zu haben! Die Mehrwertsteuer scheint eingefahren zu werden. Respekt Griechenland!

Am Vorletzten Tag traf ich mich noch einmal mit den Couchsurfern Nadia und Peny, die mich am ersten Tag des Streiks aus der Peripherie mit dem Auto ins Zentrum gefahren hatten. Wir hatten eine tolle Zeit in einer Coffee-Bar am Wasser, aber auch den beiden merkt man an, dass die wirtschaftliche Rezession für sie spürbar ist. Nadia meinte einmal sehr einprägsam: "We may have the sun, the Acropolis and the old Greeks, but it's not enough!". Peny stimmte ein und war der Meinung, dass die wirtschaftliche Lage sehr schlecht wäre, sie aber auch nicht das Gefühl hat, dass es besser wird, sondern es auch in der Zukunft wirtschaftlich so bleiben wird, wie es in der Gegenwart ist. Nadia hat nach ihrem Studium in Athen auf Grund fehlender Jobperspektiven ein Zweitstudium angefangen und würde gerne nach Italien auswandern. Peny hält sich mit temporären Beschäftigungen als Lehrerin auf griechischen Inseln über Wasser. Der Sohn der Gast-Familie Goudes, Jannis, plant auch sein Studium in Berlin zu machen. Der Brain Drain in Greichenland hat merkbar eingesetzt!

Athen war eine spannende Stadt und auf jeden Fall eine wichtige Zwischenetappe auf meiner Reise in den Osten. Überschattet vom Streik habe ich eine Seite Griechenlands mit Geduld wahrnehmen können, die man sonst nur aus den Nachrichten mitbekommt oder als gestresster 2-Wochen-Tourist, der seinen knapp bemessenen Urlaubszeit ins Wasser fallen lässt und sich so nicht auf die wirtschaftliche, politische Not im Land einlassen kann. Ich wünsche Griechenland alles gute auf dem Weg der wirtschaftlichen Besserung!
Abfahrt vom Hafen Piraeus in Athen
Abfahrt vom Hafen Piraeus in Athen

Griechenland - voll im Streik

Athen (3. Mai - 10. Mai): 12. Bett, 7. Wohnung und 13. Bett, 6. Hotel

Die Anfahrt nach Athen war sehr holprig! Nicht nur, dass der Bus bis auf den letzten Platz ausverkauft war und die Fensterscheibe, an der ich saß, kaputt war, sodass ich die gesamte Fahrt nicht rausgucken konnte. Auch war die Fahrt, auf Grund des Osterverkehrs, extrem lang. Über 14 Stunden dauerte die Reise von Albanien nach Athen, wobei wir ca. drei Stunden am Grenzübergang verbrachten und viel Zeit im Stau. Ich legte mir gute Musik ins Ohr, schlief einige Stunden und versuchte den Rest der Zeit aus den Fensterscheiben des Busses zu schauen, die nicht kaputt waren, dafür aber leider nicht an meinen Sitzplatz grenzten.


In Athen angekommen nahm ich die U-Bahn und fuhr mit dieser bis nach Kifissia, welcher mit einem Vorort wie Dahlem in Berlin zu vergleichen ist. Dort wohnt nämlich die Familie einer griechischen Freundin (Angeliki Goudes) aus Berlin und ich war eingeladen, der Gast der Familie Goudes zu sein, ohne das Angeliki selbst dort war. Mich begrüßte die Mutter von Angeliki, die Alexandra, sehr herzlich, obwohl es schon spät war. Mir wurde Essen warm gemacht, mein Zimmer mit eigenem Bad gezeigt und ich konnte endlich duschen. Zufrieden in einem sicheren Hafen eingelaufen zu sein, in einer Stadt, in der ich vorher noch nie war, ging ich zu Bett. Das gastfreundliche herzliche Aufnehmen in der Familie Goudes und das Gefühl des Geborgenseins, bewies mir ein weiteres Mal, dass es auf die Menschen und die Beziehungen zwischen diesen ankommt und auf nichts anderes. Nicht auf die Köstlichkeit des Essens, nicht auf die Qualität des Badezimmers oder auf die Aussicht einer Wohnung kommt es an, sondern auf die Menschen und den Draht, den man zu ihnen hat bzw. den man zu Ihnen aufbaut.


Am nächsten Tag machte ich Sightseeing in Athen. Ein typisches Program: Acropolis und in der Innenstadt rumschlendern. Meine Erwartungen an Athen waren größer als die Realität. Ich hatte erwartet, eine glanzvolle Metropole des Südens vorzufinden, die mit repräsentativen Gebäuden protzt, so wie es London, Paris oder Berlin tuen. Stattdessen fand ich eine Stadt vor, gezeichnet von vielen Jahren der wirtschaftlichen Rezession, mit den meisten Gebäuden in einem beklagenswerten Zustand und einer Dichte von Bettlern, die man in keiner zentraleuropäischen Großstadt vorfindet. Athen ist ein Ort, den man erkunden muss, da der Reiz nicht in der Schönheit der Bauten liegt, sondern in den vielen kleinen Cafés, Bars und Ausstellungen. Es gibt Oasen, die wirklich schön sind, jedoch war der Gesamteindruck, den die Stadt auf mich machte, eher ein Heruntergekommener. Ob dies an den vielen Jahren der wirtschaftlichen Rezession liegt, oder daran, dass die griechische Bevölkerung schon immer mehr Wert auf Essen und Müßiggang gelegt hat, als auf schicke Gebäude, weiß ich nicht. Um das sagen zu können, müsste ich wissen, wie Athen vor 10 Jahren aussah, als die Stadt noch mehr Geld hatte.

Auf jeden Fall war mein Interesse geweckt, die moderne Kultur Griechenlands kennenzulernen. Ich fasste den Plan für drei Nächte in Athen zu bleiben und dann mit dem Boot auf eine griechische Insel weiterzureisen. Dieser Plan wurde von einem typisch griechischen Hindernis durchkreuzt: Generalstreik. So war ich gezwungen, für eine gesamte Woche in Athen zu bleiben. Dies brachte zwar meinen Zeitplan enorm durcheinander, aber ich regte mich über den Generalstreik nicht auf. Dinge, die ich nicht ändern kann, versuche ich im ersten Schritt als gegeben zu akzeptieren, dann versuche ich mich mit dem mir aufgezwungenen Zustand so gut als möglich zu arrangieren und wenn ich ganz gut bin, dann beginne ich sogar, anfänglich negative Umstände zu mögen. Es hat keinen Sinn, sich über Dinge aufzuregen, die man sowieso nicht ändern kann. So fasste ich den Entschluss, den Streik als gegeben anzusehen und auch wenn ich bis heute nicht wirklich geschafft habe, den Streik zu mögen, so habe ich es doch geschafft, mich mit dem Streik zu arrangieren und an keinem Punkt negative Gefühle darüber zu entwickeln. Ich glaube, das wäre bei mir vor zwei Jahren noch anders gewesen und ich bin froh, ein wenig stolz sogar, dass ich meine Emotionen, trotz der misslichen Lage, so gut unter Kontrolle hatte.

Der Streik brachte zwei Konsequenzen mit sich: Erstens wechselte ich meinen Schlafplatz. Die Familie Goudes wohnt in der Peripherie Athens, im Vorort Kifissia, und nicht im Zentrum, weshalb ich bei einem Generalstreik dort draußen von jeder Aktivität abgeschlossen worden wäre. Die Bahnen und Busse, die mich sonst ins Zentrum bringen würden, waren nämlich auch vom Streik betroffen. Ich fand ein nettes Hostel mitten im Zentrum.

Die zweite Konsequenz war, dass ich auf Grund meines ungeplant langen Aufenthalts in Athen nun die Chance hatte, mich mit den Griechen tiefergehend zu befassen und ich glaube, ich habe Erkenntnisse gewonnen, die ich bei einer geplanten Abreise nicht gewonnen hätte. Über die vergangenen Tage war ich im Kontakt mit etwas mehr als einem halben Dutzend Athenern. Viele Kontakte sind über Couchsurfing entstanden und wenn sich der ein oder andere Leser nun wundert, warum die meiste Personen, die ich traf, Frauen waren, dann liegt das ein wenig an der Natur von Couchsurfing. Zu Beginn schrieb ich noch Männer an, ob man sich nicht auf einen Kaffee treffen will, oder ob man mich als Gast aufnehmen will. Meine Kontaktanfragen wurden jedoch fast immer nur von Frauen beantwortet und so bin ich mittlerweile dazu übergegangen, nur noch Frauen anzuschreiben. Der Aufwand, der in eine Kontaktaufnahme mit Männern gesteckt wird, war bei mir bisher immer verschwendet und so schreibe ich halt Frauen an, die mir dann auch antworten.

Zurück zu den Griechen: Nadia, eine Griechen, die so lieb war, mich währen des Generalstreiks mit dem Auto aus der Peripherie ins Zentrum zu fahren, erzählte mir: "We do everything, we can". Damit meinte sie, dass das, was toleriert wird, von den Griechen gemacht wird, auch wenn es nicht ganz regelkonform ist. Wenn man durch Athen mit etwas offenen Augen läuft, dann fällt das auch auf: viele Motorradfahrer ohne Helm,  Autofahrer mit dem Handy beschäftigt, die Straßenverkehrsordnung eher eine Richtlinie, Menschen rauchen in den Restaurant, auch wenn man es nicht sollte. Und es gibt viele andere solcher Beispiele. Das Gesetz in der Theorie und in der Praxis scheinen nicht im Einklang zu schwingen. Mein Gastgeber Jannis Goudes, der Bruder von Angeliki aus Berlin, erzählte mir auch, dass die Griechen konstant gegeneinander für ihre jeweiligen Recht kämpfen würden. Diese Einschätzung erklärt vermutlich die hohe Anzahl von Streiks. Es gibt hier so viele Streiks, dass es eine Website mit dem Namen Streiks.gr (Streiks auf griechisch geschrieben) gibt, auf der immer detailliert steht, wer wo und wie lange die Arbeit aussetzt. Jannis meinte auch, dass die Griechen sehr stolz sind, fast schon zu stolz. Sich auf die Spartaner und alten griechischen Philosophen beziehend, ist das Ehrgefühl sehr ausgeprägt. Ich stellte auch fest, dass in Athen ein gröberer Umgangston herrschte, als ich das aus Tirana gewohnt war. Am zweiten Tag wurde ich von einem auf dem Bürgersteig fahrenden Mopedfahrer, den ich aus Versehen zum Abbremsen gebracht hatte, als "Malaka" bezeichnet, was auf griechisch so viel wie "Penner" bedeutet und auch die Angestellten an der Rezeption meines Hostels sind recht unfreundlich. Alles in allem lässt sich das Niveau der Freundlichkeit in Athen mit dem Niveau der Freundlichkeit in Berlin gut vergleichen.

Die griechischen Individuen muss man natürlich einzeln betrachten! Es ist nicht richtig, von den Griechen im Allgemeinen zu reden und alle einzelnen Persönlichkeiten unter den stumpfen Begriff 'griechisches Volk' zu kehren. Sehr viele schöne Erfahrungen hatte ich mit den Griechen: So sprach ich bereits von der Gastfreundschaft von Alexandra und Jannis Goudes. Und diese Gastfreundschaft wurde von vielen anderen Griechen, die ich traf, weitergeführt. Am ersten Tag traf ich Anna, eine griechisch-albanische Studentin und wir machten einen tollen Spaziergang durch die Innenstadt. Auch Nadia und Benni, die mich während des Generalstreiks mit dem Auto aus der Peripherie ins Zentrum brachten und mit mir einen Kaffee trinken gingen, waren über aus freundlich. Die beiden bestanden sogar darauf, für mich den Kaffee zu bezahlen, da ich doch Gast sei. Auch viele Kellner und Kellnerinnen in den Restaurants waren äußerst zuvorkommend.

Auf Grund des Streiks hängengeblieben in Athen, versuche ich jetzt das Beste aus meinem langen Aufenthalt zu machen. 

Bei der Kategorie 'People I Met' sind zwei Spanier und eine Chilenin aufgeführt. Mit den Dreien teilte ich für eine Nacht das Zimmer im Hostel, wir gingen zusammen Abendessen und ich war froh, mal wieder mein Spanisch rausholen zu können.
Athen von dem Berg der Acropolis fotografiert
Athen von dem Berg der Acropolis fotografiert

Saranda - Regen am Meer

Albanien, Saranda (2. Mai - 3.Mai): 11. Bett, 5. Hotel

Mein letzter Stop in Albanien war leider dominiert von schlechtem Wetter. Ursprünglich hatte ich geplant nochmal einen Tag am Strand zu verbringen, um die albanische Küste zum einen für etwaige zukünftige Reisen zu erkunden und zum Anderen, um einfach eine entspannte Zeit zu haben. Daraus wurde jedoch nichts, denn es regnete den ganzen Tag in Strömen. Die zwei Highlights des Tages waren deshalb nicht albanischer Art, sondern deutschsprachig.

Zuerst traf ich im Hostel in Gjirokaster eine Gruppe von Architekturstudenten an, die in Wien zur Uni gehen. Sie untersuchten die alten Baustrukturen der albanischen Gebäude. So schön das Kaffee-Trinken und das Gespräch mit den Wienern auch war und das kurze Mitschwimmen in der großen Gruppe, so stark zeigte es mir doch auf, wie zufrieden ich bin, alleine zu reisen. Das Alleinsein gibt mir einen ganz anderen Zugang zu der jeweiligen Kultur, in der ich mich gerade befinde.

Das zweite Highlight war ein Schwabe namens Klaus Wehr, den ich erst auf Mitte 50 geschätzt hatte, da er einen so fitten Eindruck macht, obwohl er schon 64 Jahre alt ist. Auch Klaus war alleinereisend und so unterhielten wir uns während der gesamten Busfahrt von Gjirokaster in den Bergen, bis nach Saranda am Meer. Wir sprachen über das Alleinereisen und vor allem über Albanien. Für Klaus war es nicht das erste Mal in Albanien, sondern bereits das vierte Mal. Die vorherigen Besuche waren in den Jahren 1995, 1996 und 2006. In jedem dieser Jahre machte er eine ähnliche Route und fotografierte die selben Orte. Die Unterschiede zwischen den Touren dokumentiert er in einem Fotobuch. Dabei beschränkte er sich in seinen Fotografien nicht lediglich auf berühmte Monumente, sondern gerade auch auf die Dinge, die sonst nicht so oft fotografiert werden: Straßen, kleine Kirchen, Wohnhäuser. Es war spannend, Teile der Entwicklung Albaniens so kompakt in einem Buch zu sehen.

Ein schönes Beispiel für das Projekt von Klaus Wehr sind die Fotos des zentralen Kanals, der durch Tirana läuft:
1995:
die Parkanlage entlang des Kanals ist unbebaut.
1996:
Es ist ein Jahr vor Ausbruch der Anarchie in Albanien und die Regierung hat bereits fast keine Kontrolle mehr. Das Ergebnis sind unstrukturierte Bruchbauten auf der Parkanlage entlang des Kanals.
2006:
Albanien ist wieder unter Kontrolle, die Bruchbauten am Kanal abgerissen und die Parkanlage wieder hergestellt.

Klaus Wehr ist der größte deutsche Albanienfan, den ich auf meiner Reise getroffen habe und ein Mann, der das Herz am rechten Fleck hat. Wer Lust hat, kann ja mal auf seiner Website (albanientour.de) vorbeischauen, auf der er seine Eindrücke aus den verschiedenen Jahren in Albanien präsentiert. Das Design der Website ist ein wenig holprig, aber der Inhalt macht das mehr als wett!

Zu Saranda ist ansonsten, auf Grund des Regens, welcher mich einschränkte, nicht viel mehr zu sagen. Etwas negativ ist anzumerken, dass die Albaner am Meer auf mich nicht so einen übertrieben netten Eindruck machten, wie die Albaner im Innenland. Für mich ist das lediglich durch die Touristen zu erklären, die Saranda bereits als Destination entdeckt haben. Als ich im Restaurant zu Abend aß, hatte ich beim Kellner das Gefühl, dass seine Einstellung folgende war: "Dieser Gast ist sowieso nur einmal da und jetzt hat er die Entscheidung schon getroffen in diesem Restaurant zu essen, also muss ich mich nicht ganz so doll anstrengen." Vielleicht hatte ich Pech mit dem Kellner, vielleicht ist die Tendenz zum Unfreundlichsein ein generelles Phänomen des Ortes - mir blieb nicht genügend Zeit in Saranda, um diese Frage zu beantworten. Korrekterweise muss ich noch hinzufügen, dass die Menschen die ich auf der Straße ansprach, also solche, die nicht so viel mit Touristen in Kontakt kommen, genauso freundlich waren, wie ich das vom Rest Albaniens gewohnt war.



Saranda
Saranda
Wenig bestechende Architektur in Saranda, aber schönes Meer!
Wenig bestechende Architektur in Saranda, aber schönes Meer!

Gjirokaster - ein UNESCO-Weltkulturerbe fast für mich alleine

Albanien, Gjirokaster (1.Mai - 2.Mai): 10. Bett, 4. Hotel

Nachdem ich Tirana verlassen hatte, machte ich mich auf den Weg nach Gjirokaster, einem albanischen UNESCO-Weltkulturerbe. Ich benutzte einen lokalen Bus und war deshalb der einzige Ausländer und damit eine Attraktion. Ich kam mit einer Mitreisenden, namens Daisy (Amerikafans!), in ein Gespräch. Sie war eine in Tirana arbeitende Assistenzhilfe in einem Labor, die über das verlängerte Osterwochenende die Familie auf dem Land besuchte. Die gesamte albanische Jugend scheint nämlich in den Städten versammelt zu sein, da es auf dem Land keine Arbeit gibt. Zurück bleiben die alten Leute. So war auch das Stadtbild in Gjirokaster, einem Städtchen mit knapp 20.000 Einwohnern, von alten Leuten dominert.

In Gjirokaster angekommen, bezog ich ein sehr nettes Hostel und machte mich kurze Zeit darauf zu der Burg auf, die die Stadt überragt. Noch nicht vom Massentourismus entdeckt und auch auf Grund nicht all zu guten Wetters, hatte ich die Burg fast für mich alleine. In anderen europäischen Städten hätten sich wahrscheinlich mehrere tausend Leute durch die Burg geschoben - so musste ich sie nur mit einigen Dutzend Anderen teilen. Gjirokaster war schön anzusehen, aber ich war froh, am nächsten Morgen weiterzukommen. Tirana hat mir wieder gezeigt, wieso ich diese Reise mache: Nicht um alte Gemäuer anzuschauen (auch wenn die Burg sehr beeindruckend war), sondern um die Menschen vor Ort kennenzulernen.

Kurz vor Abreise traf ich in meinem Hostel auf eine Gruppe von Studenten, die in Wien Architektur studieren. Wir tranken zusammen einen Kaffee und aßen Baklava.

Noch ein kleiner Nachtrag: Nachdem ich Albanien so in den Himmel gelobt habe, muss ich auch schreiben, dass viele der Vorurteile was Kriminalität angeht, wahr sind. Alle albanischen Studenten erzählten mir davon, wie unausstehlich sie das organisierte Verbrechen und die Alltagskriminalität finden. So sei es an der Tagesordnung, dass man für Kleinlichkeiten im Straßenverkehr angehalten wird und erst weiterkommt, wenn man dem Polizisten ca. 15€ bar auf die Hand gibt. Oder es wurde davon erzählt, dass der Chef der albanischen Zentralbank mehrere Millionen Euro gestohlen hätte, aber nach einem einjährigen hin und her und Schauprozess, ohne Anklage freigekommen sei. Ein Mitfahrer in dem Bus, den ich von Albanien nach Griechenland nahm, erzählte mir mit Bedauern, wie stark der Einfluss der albanischen Mafia sei. Schritte werden gegen die Kriminalität und Korruption unternommen. So müssen zum Beispiel Verkehrspolizisten nun eine durchgängig laufende Kamera an ihrer Ausrüstung tragen, um der Korruption vorzubeugen. Aber nach wie vor ist das Land durchsetzt von Vetternwirtschaft und Betrug.

Gjirokaster war schön und gut, aber für mich nicht beseelt durch menschlichen Kontakt zu Albanern. Trotzdem war es den Tagestrip auf jeden Fall wert!
Die Europaflagge weht in Albanien überall - das Land will den EU-Beitritt wirklich schaffen!
Die Europaflagge weht in Albanien überall - das Land will den EU-Beitritt wirklich schaffen!
Bilder von der Burg folgen noch!

Tirana - Albanien - I will be back!

Tirana - ich komme wieder!
Albanien, Tirana (27. April - 1. Mai): 9. Bett, 3. Hotel

Im letzten Beitrag erzählte ich davon, wie wohl ich mich in Tirana fühle. Nun werde ich damit etwas weiter machen und noch ein paar Bilder, sowie einen Einblick in die albanische Geschichte geben.

Die folgenden Tage in Tirana liefen ab, wie ich es mir erhofft hatte. Am Freitagabend gingen wir in ein klassisches Konzert und hörten uns Mozart und Haydn an. Andia, Meli und Erjona kamen mit und waren, glaube ich, nicht all zuuu angetan. Und überhaupt scheint das Besuchen eines klassischen Konzerts in Albanien (wie es zu erwarten war) einen anderen Stellenwert als in Deutschland zu haben. Die Menschen waren nicht besonders schick angezogen, die Konzerthalle war kommunistisch karg gehalten und das Konzert, zur besten Spielzeit um 19 Uhr am Freitagabend, war nicht mal zur Hälfte ausverkauft. Ich habe es aber trotzdem genoßen und finde sogar, dass das große Orchester sehr schön gespielt hat. Nach dem Konzert ging ich mit den Dreien und Eno noch etwas Bier trinken im Szeneviertel von Tirana. Es wurde ein sehr lustiger Abend.

Auch der Trip am nächsten Tag war ein voller Erfolg. Mit einem Auto fuhren wir gemeinsam zu einem verlassenen Küstenstreifen, wanderten über Strände und klapperten alte Bunker ab, die in der kommunistischen Ära gebaut wurden, gegen eine Invasion, die nie kam. Im ganzen Land sind über 750.000 Bunker angelegt worden und die meisten sind noch da. Deswegen ist das ganze Land überseht von komisch aussehenden Betonhügelchen mit einem Guckschlitz an der vorderen Seite. Die Bunker sind nur ein Teil der Geschichte, die Albaniens Vergangenheit so spannend macht.

Hier ein kleiner Überblick über die letzten ca. 100 Jahre von Albanien:

1912:
Unabhängigkeit Albaniens vom osmanischen Reich
1914-1920:
Erster Weltkrieg - Verschiedene sich bekriegende Mächte besetzen Albanien (Vertreten waren: Österreicher, Franzosen, Italiener, Griechen, Serben)
1920:
Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit
1922:
Erste Regierung Albaniens
1924:
Demokratische Reformregierung durch Zogu geputscht -> Zogu Präsident
1928:
Ahmet Zogu lässt sich zum König ausrufen -> Albanien Monarchie
1939:
Italien besetzt Albanien um Griechenland anzugreifen. Angriff Italiens wird zum Disaster, mit dem Resultat, dass Griechenland Teile Albaniens besetzt.
1943:
Deutsche Besatzung
1944:
Kommunisten übernehmen Macht in Albanien unter Enver Hoxha
1946:
Albanien-Jugoslawien Freundschaftsvertrag
1948:
Bruch mit Jugoslawien und Bündnis mit der Sowjetunion
1960:
Bruch mit Sowjetunion und Bündnis mit Volksrepublik China
1967:
Totales Religionsverbot, Albanien erster offizieller atheistischer Staat der Welt
1978:
Bruch mit Volksrepublik China und Beginn absoluter Abschottung vom Rest der Welt
1978-1990:
Albanischer Alleingang (zu vergleichen mit dem heutigen Nordkorea)
1990:
Transformationsjahre beginnen, Massenfluchten von Albanern in den Rest Europas
1992:
PD (Demokratische Partei) gewinnt erste freie Wahlen
1997:
Keine geregelten wirtschaftlichen Strukturen, weshalb sich kriminelle Strukturen bildeten. Erste Zusammenbrüche von verbrecherischen Geldanlagefonds (Pyramidenspiele), was viele Albaner um jegliche Ersparnisse bringt. Regierung hat Verbindung zu Anlagebetrügern. -> Proteste in Tirana mit Todesopfern.
1997:
Die Proteste weiten sich auf ganz Albanien aus -> Anarchie im ganzen Land. Ausländische multinationale Truppen (6000 Mann) sorgen in Albanien für Stabilisierung
1998:
Höhepunkt des Flüchtlingsstroms der Kosovo-Albaner (300.000 Menschen) auf Grund des Krieges im Nachbarland Kosovo
2006:
Albanien unterzeichnet Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU
2009:
Albanien tritt der NATO bei und reicht EU-Beitrittsantrag ein.

Das zwanzigste Jahrhundert war also eine sehr durchwachsende Zeit für Albanien, welche erklärt, wieso das Land heute ärmer ist, als die meisten andere Länder auf dem europäischen Kontinent. Innerhalb eines Jahrhunderts war Albanien erst osmanisch besetzt, dann unabhängig, später Kriegsschauplatz für fremde Mächte, Monarchie, faschistisch besetzt, kommunistisch regiert mit Bündnissen nach erst Jugoslawien, dann Sowjetunion und dann China. Danach kam die absolute Abschottung. Dann zeitweise Anarchie Ende der 90er und heute Demokratie und EU-Bestrebungen. Was für ein Werdegang!

Viele der oben beschrieben Ereignisse sind heute noch zu erkennen, wenn man durch Albanien reist. So gibt es einige chinesisch-stämmige Albaner, die vor allem in Tirana zu finden sind. Die bereits erwähnten 750.000 Bunker sind im ganzen Land zu sehen. Gerade die älteren Menschen sprechen gar kein Englisch, da sie in ihrer Jugend nichts vom Ausland mitbekamen, außer illegal empfangenen Fernsehsendungen aus Italien und Griechenland. Der Regierungssitz ist aus der Zeit der italienischen Besatzung, die Oper und das Museum von den Kommunisten erbaut. Viele Albaner sind Atheisten.

Und, was ich besonders betonen will, die Albaner sind die größten US-Fans, die ich je getroffen habe. In Tirana ist die George W. Bush Suite eine Sehenswürdigkeit. Und in dem Café, in dem George W. Bush einkehrte, ist der Stuhl, auf dem er saß, bis heute eine Art Heiligtum, auf dem kein Gast mehr Platz nehmen darf. Amerikanische Lieder sind allgegenwärtig und die westliche Kultur ist absolute Leitkultur, gerade bei den jungen Menschen. Die älteren Albaner sehen den Weste auch als Vorbild, sind allerdings unter kommunistischer Abgeschlossenheit aufgewachsen, weshalb ihnen das Adaptieren westlicher Gepflogenheit nicht so einfach fällt. So entsteht eine besondere Mischung: Die Jugend spricht sehr gutes Englisch, hat ein modernes Verständnis von Beziehungen zwischen Männern und Frauen und ist aber gleichzeitig von einem großen Respekt gegenüber den Eltern geprägt. Die jungen Albaner leben so westlich sie können, sind aber gleichzeitig noch an zu Hause gebunden und hören stark auf ihre Eltern. Die westliche Kultur ist vermutlich aus zwei Hauptgründen so anerkannt: zum einen verspricht sie Wohlstand und zum anderen kämpften die USA und der restliche Weste auf der Seite der Kosovo-Albaner gegen die Serben. Als abschließende Anekdote ist zu erwähnen, dass der Fahrer, der meine albanischen Freunde und mich am vergangenen Samstag an den Strand fuhr, Gerhard hieß, benannt nach Gerhard Schröder.

Ich hoffe, der kleine geschichtliche Exkurs war spannend für euch! Ich hatte mich vor meiner Reise kein bisschen mit Albanien auseinandergesetzt und so war ich umso faszinierter, als ich erfuhr, wie wechselhaft die Geschichte des albanischen Volkes, welches gerade einmal 3 Millionen Leute fasst, ist.
Am Samstagabend gingen Andia, Meli und ich noch zu den Feierlichkeiten der griechisch Orthodoxen. Alle griechisch-orthodox-Gläubigen versammelten sich um 24 Uhr an der größten Kirche Tiranas, entzündeten eine Kerzen und liefen dann in alle Himmelsrichtungen nach Hause, ohne dass die Kerze ausgehen durfte. Das war ein beeindruckendes Schauspiel.

Der Abschied aus Tirana am Sonntagmorgen fiel mir nicht leicht, da ich eine so intensive Zeit mit meinen vier albanischen Freunden verbracht hatte. Andia bestand darauf, dass sie mich morgens um 8:00 Uhr in den Bus setzen wollte. Dies war eine besondere Geste, da die Bushaltestation, von ihrer Wohnung aus gesehen, auf der anderen Seite der Stadt liegt und wir am vorherigen Abend bis nach 2:00 Uhr in die griechisch-orthodoxen Feierlichkeiten eingebunden waren, weshalb sie nur sehr wenig schlafen konnte.

Albanien, mit all den freundlichen Menschen und der scheinbar grenzenlosen Gastfreundlichkeit ist für mich eine ganz besondere Station auf meiner bisherigen Reise gewesen. Ich kann jedem nur empfehlen, dieses Land zu besuchen, auf sich wirken zu lassen und dabei so viel Kontakt mit den freundlichen Albanern zu haben, wie es möglich ist!
Griechisch orthodoxes Osterfest, bei dem jeder eine in/bei der Kirche entzündete Kerze nach Hause trägt
Griechisch orthodoxes Osterfest, bei dem jeder eine in/bei der Kirche entzündete Kerze nach Hause trägt

Tirana - überraschend überragend!

Albanien, Tirana (27. April - 1. Mai): 9. Bett, 3. Hotel

Am 27ten um 8:30 Uhr in der Früh fuhr ich mit dem Bus aus Kotor in Montenegro nach Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Ich war sehr gespannt, was ich erfahren würde. Schließlich hört man nicht viel über Albanien und das was man doch mal aufschnappt, ist oft negativ: Korruption, Umweltverschmutzung und wirtschaftlich Unterentwicklung des Landes. Als der Bus die Grenze von Montenegro nach Albanien überquerte, schienen sich alle Vorurteile zu bestätigen. Bettler scharrten sich um den Bus, als wir in Shkodra Mitfahrende aus dem Bus ließen. Die Straßen waren manchmal gut, aber meist so durchlöchert von Schlaglöchern, dass man sich an einen Schweizer Käse erinnert fühlte. Für die meisten Albaner auf dem Land scheinen die Kutsche und das Fahrrad die einzigen legitimen Fortbewegungsmittel zu sein. Der Verkehr was stockend, da wir nicht nur Schlaglöchern, sondern auch Kutschen ausweichen mussten. Die Bebauung auf dem Land ist unstrukturiert. Jeder baut scheinbar wo er will und nicht jedes Gebäude ist fertiggestellt. Es gibt nicht den Ansatz einer Baulinie und somit keine durchgehende Häuserflucht. Mal ist ein Haus direkt an die Straße gesetzt, dann wieder ein Grundstück frei und 50 Meter weiter ist das Haus wiederum 100 Meter von der Straße entfernt. Streuende Kühe sind überall zu sehen. Auf der Schnellstraße fahren Autos auf dem Standstreifen entgegen der Fahrtrichtung, da die Verkehrsregeln nicht ernst genommen werden. Viele Flüsse sind von Plastikabfällen verunreinigt. All das machte auf mich keinen sonderlich guten Eindruck. Froh, dass ich in der Hauptstadt nur eine Nacht verweilen würde, ließ ich die Dinge weiter auf mich wirken und kam zu dem Schluss, dass die Vorurteile über Albanien wohl wahr sein mussten.

Wie falsch ich gelegen hatte, meinen Vorurteilen gleich zu glauben, würde ich kurze Zeit später erfahren! In Tirana schlief ich in einem Hostel, da ich leider keinen Couchsurfer finden konnte, der mich hosten wollte. Das Hostel fand ich ohne Probleme, denn Tirana ist eine sehr kleine Stadt und alles Wichtige spielt sich in fußnähe ab. Der Empfang im Hostel war sehr warm und herzlich. Ich zahlte für die eine Nacht, die ich bleiben wollte, legte meine Sachen ab und ließ mir ein Restaurant empfehlen, wo ich etwas essen könnte. Ich ging zu dem empfohlenen Restaurant und war über die Maße positiv überrascht. Der Kellner sprach zwar nur sehr gebrochenes Englisch, aber war sehr sehr freundlich, das Essen war köstlich, bestand aus diversen Gängen und wurde sehr schnell serviert und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, kostete es keine 4€! Tirana, mit den freundlichen Menschen, dem köstlichen Essen und dem sehr tiefen Preisniveau, fing langsam an, mich von sich zu überzeugen.

Über Couchsurfing kriegte ich dann doch noch einen lokalen Kontakt. Zwar konnte ich nirgendwo zu Gast sein, aber man schrieb mir, dass heute Abend eine Party an der Universität stattfinden würde und ich gerne mitkommen könnte. Ich sagte sofort zu und so trafen wir uns am Abend, um gemeinsam zu dem Bereich der Stadt zu gehen, wo all die Studenten wohnen. Ich hatte großes Glück, dass ich so nette Albaner kennenlernen durfte: Andia hat Jura studiert, und ihren Master in Saarbrücken in Deutschland in International Law gemacht. Eno hat Wirtschaft studierte und arbeitet in Tirana. Meli hat Ingenieurwissenschaften mit Schwerpunkt auf IT studiert und hatte an dem Tag unseres Treffens gerade ein Jobinterview bei einer italienischen Firma hinter sich gebracht. Mit den Dreien verstand ich mich außerordentlich gut. Die Party zu der wir zusammen gingen war klasse. Danach gingen wir noch in ein Restaurant, um uns Burger und Wein zu hollen. Nachts machten die Albaner, obwohl sie alle Drei in einer anderen Richtung lebten, einen großen Umweg, nur um mich näher an mein Hostel zu bringen. Tirana, Albanien hatte mich mit seiner Gastfreundschaft erobert!

Ursprünglich wollte ich nur eine Nacht in Tirana bleiben, aber aus einer Nacht wurden zwei und daraus wurden nun letztendlich vier Nächte! Wer hätte das gedacht? Nirgendwo sonst habe ich bisher auf meiner Reise so lange verweilt. Mein ursprünglicher Plan war es, Albanien nach 2-3 Nächten hinter mir zu lasse und noch ein paar Tage in Griechenland zu verweile, bevor ich am dritten Mai die Familie einer Freundin aus Berlin in Athen antreffe. Dieser Plan wurde nun jedoch von der Herzlichkeit meiner neuen albanischen Freunde über den Haufen geworfen. Am 28ten (gestern) haben die Drei mir erst die Stadt gezeigt und Abends gingen wir zusammen essen. Am 29ten (heute) war ich morgens auf einer Stadtführung mit einem Guide und heute Abend werde ich mit den Albanern in die von den Kommunisten erbaute Oper gehen. Morgen fahren wir mit einer Gruppe von albanischen Studenten in die Berge, um zu hiken. Ich bin gespannt, wie das wird! Uns Samstagabend ist dann auch noch die Ostermesse der griechisch Orthodoxen um 24 Uhr. Auch das werde ich versuchen, mir anzugucken. Das wird ein toller Rummel! Mein neuer Plan sieht vor, am Sonntag um 8 Uhr nach Gjirokaster, einem albanischen UNSECO-Weltkulturerbe, zu fahren. Aber mal schauen was aus diesem 'Plan' wird! :)
Der Hauptplatz mit der albanischen Flagge, einer Moschee, einem christlichen Glockenturm, Regierungsgebäuden (in gelb aus der Zeit der italienischen Besatzung), einm typischen Plattenbau und einem der neu entstehenden Hochhäuser (in Tirana wird viel gebaut)
Der Hauptplatz mit der albanischen Flagge, einer Moschee, einem christlichen Glockenturm, Regierungsgebäuden (in gelb aus der Zeit der italienischen Besatzung), einm typischen Plattenbau und einem der neu entstehenden Hochhäuser (in Tirana wird viel gebaut)
Andia
Andia
Eno
Eno
Meli
Meli
Erjona - Chemiestudentin, welche ab dem zweiten Tag an allen unseren Unternehmungen teilnahm
Erjona - Chemiestudentin, welche ab dem zweiten Tag an allen unseren Unternehmungen teilnahm

Kotor - noch ein Rentner-Walt-Disney

Montenegro, Kotor (26. - 27. April): 8. Bett, 2. Hotel

Kotor war leider eine kleine Wiederholung von Dubrovnik. Die Altstadt machte auf mich einen genauso polierten und unnatürlichen Eindruck wie Dubrovnik. Ich fühlte mich wieder, wie kurze Zeit zuvor in Kroatien, in ein Walt Disney Land für ältere Herrschaften versetzt. Kotor liegt nämlich ebenfalls am Wasser und so legen Kreuzfahrtschiffe regelmäßig an, um die sonst weitgehend unbewohnte Altstadt mit Rentnern zu füllen.

Ich hatte in Kotor trotzdem eine schöne Zeit. Wie schon in Dubrovnik war ich ohne Gesellschaft, suchte dieses Mal aber auch nach keiner. Ich war zufrieden mit mir selbst und so verbrachte ich die erste Hälfte des Tages mit dem Erklimmen eines Berges, um die daraufliegende Festung zu erforschen und die zweite Hälfte des Tages in einem Restaurant, schreibend und einen Kaffee nach dem anderen bestellend. Die Nacht schlief ich in einem Hostel. Abends ging ich nicht all zu früh ins Bett, obwohl ich am nächsten Morgen um 6:30 Uhr aufstehen musste, um den Bus nach Albanien zu bekommen. Es war meine Absicht, am darauffolgenden Tag etwas müde zu sein. Meiner Erfahrung nach ist es nämlich so, dass eine gewisse Müdigkeit bei Busfahrten von großem Vorteil sein kann. So verschläft man die ein oder andere Stunde und die Zeit vergeht wesentlich schneller! Der Plan ging auf. Die mehr als 6 Stunden Busfahrt von Kotor zur Hauptstadt Albaniens, Tirana, verliefen ohne Probleme und die Zeit verging, untermalt von Blicken auf die umwerfende montenegrische Mittelmeerküste und Einblicken in das ländliche Lebens Albaniens, in rasendem Tempo.
Blick beim Aufstieg zur altertümlichen Festung über Kotor hinweg
Blick beim Aufstieg zur altertümlichen Festung über Kotor hinweg
Blick von der altertümlichen Festung auf die Bucht von Kotor
Blick von der altertümlichen Festung auf die Bucht von Kotor

Dubrovnik - ein Walt Disney für Rentner

Kroatien, Dubrovnik (25. - 26 April): 7. Bett, 1. Hotel

Zugegeben, Dubrovnik hatte ein gewisses Handicap mich zu überzeugen. Zum einen regnete es während meines Aufenthalts fast die gesamte Zeit und zum anderen war ich ohne Begleitung in der Stadt. Ersteres macht mir normalerweise nichts aus, da ich ein starker Verfechter der Einstellung bin, dass es kein schlechtes Wetter gibt, aber wenn man nur einen Tag in einer Stadt hat und Restaurants anfangen das Schild 'Closed due to rain' rauszuhängen, dann weiß man, dass man nicht alles erfährt, was die Stadt zu bieten hat. 

Ich werde versuchen, meinen Bericht nicht all zu subjektiv zu gestalten, aber die Innenstadt von Dubrovnik hat mir nicht sehr gut gefallen. Die Häuser waren zu glatt poliert und hatten keinen altertümlichen Charme mehr, keiner der Läden war mehr ursprünglich, sondern in ausnahmslos allen Geschäften wurden entweder Souvenirs oder Kleidung verkauft, bzw. wurden als Restaurant genutzt. Es gab in der Altstadt keine Einheimischen mehr und das durchschnittliche Alter der Touristen war um die 60 Jahre. Dies rührt daher, dass in Dubrovnik die Kreuzfahrtschiffe anlegen und Herrscharen von Rentner sich über die Stadt ergießen. All das trug nicht zur Authentizität einer alten Stadt am Mittelmeer bei. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass die Stadt auf ihre eigene Art und Weise sehr schön anzusehen ist.. nur authentisch ist sie halt nicht.

Nachdem ich den Rundgang über die Mauer gemacht und die Befestigungsanlage eines nahegelegenen Hügels erkundet hatte, ließ ich mich am Abend für einige Stunden in einem Restaurant nieder, beantwortete Nachrichten und plante die weitere Route für die nächste Woche. Einen ungefähren Plan zu haben, wie die nächsten Tage aussehen sollen, ist für mein Wohlbefinden auf der Reise sehr wichtig. Habe ich diesen ungefähren Plan nicht und weiß aber, dass ich gerne ordentlich Strecke machen würde, weiß ich nicht, ob ich mich in der Zeit befinde. Bis jetzt sieht es aber, was meinen Zeitrahmen angeht, ganz gut aus.
Die Altstadt von Dubrovnik - mit dem Meer im Hintergrund
Die Altstadt von Dubrovnik - mit dem Meer im Hintergrund

Split - die Stadt der Medizinstudenten

Kroatien, Split (22.-25.April): 6. Bett, 6. Wohnung bei Victor Hoursch

In Zagreb war ich am frühen Morgen losgefahren, mit dem guten Gefühl, dass die Reise voran geht und der Gewissheit, dass die nächste Station ein "sicherer Hafen" für mich ist. Ich wusste, dass am Busbahnhof in Split ein alter Freund warten würde, namens Victor. So war es dann auch. Wir trafen uns ohne Probleme, fuhren mit seinem Auto schnell in seine Wohnung, um Sachen abzulegen, holten dann zwei seiner Freunde ab (den Franzosen Antuan und seine deutsche Freundin Sophia) und von dort ging es weiter an den Strand. Keine Stunde war ich in Split und schon lag ich in der Sonne am Mittelmeer. Ein klasse Auftakt!

Abends kamen einige der Studenten zusammen, die aus dem gleichen Grund wie Victor in Split sind - nämlich einem englischsprachigen Medizinstudium. Unter den Anwesenden waren größtenteils Deutsche, aber auch Franzosen, US-Amerikaner und Schweden. Die internationalen Studenten haben in Split ein angenehmes Leben, welches allerdings andere Reize bietet als große Städte das tun. Kulturelle Veranstaltungen, wie Oper oder Theater, sind nicht auf der Tagesordnung und auch der Anschluss an die örtlichen Kroaten scheint den Studenten, trotz der sechsjährigen Studienzeit, schwer zu fallen. So hat sich unter all den Medizinstudenten, die aus der ganzen Welt in Split zusammen gekommen sind, eine eigene Dynamik entwickelt, welche, so war mein Eindruck, zum einen auf sehr enger Freundschaft und zum anderen auf Abgrenzung basiert. Bestimmte Leute wollen nur mit bestimmten Leute, und mit gewissen anderen Leuten auch wieder nicht, abhängen. All das, was sich in einer normalen Großstadt anonymer abspielt, findet in Split unter den 100-200 Studenten in einer kompakteren Form statt. In großen Städten können Freundschaften und Konflikte verlaufen, auf Grund der schieren Masse an Menschen. Bei so wenigen Studenten wie in Split ist das 'Verlaufen' nicht möglich..

All die Medizinstudenten haben mit ihrer Wahl, das Studium in Kroatien zu machen, eine weitreichende Entscheidung getroffen. Schließlich bedeutet der Antritt des Studiums für jeden Einzelnen, dass die nächsten sechs Jahre im Auslands stattfinden werden. Dies lässt sich in Split jedoch gut machen. Auch wenn das Stadtbild zu wünschen übrig lässt, so sind die Meerlage, das überwiegend gute Wetter, die Freundlichkeit der Kroaten, die immer größer werdende Zahl der internationalen Studenten und das gute Medizinstudium, gute Gründe für die Studenten, die Zeit in Split zu genießen. Jedes Jahr im Sommer kommen viele Touristen nach Split und deswegen scheint sich auch einiges zu tun in der Stadt. Neue schicke Cafés am Strand machen auf und tolle hochwertige Restaurants bieten ihre Speisen an. Dies genoß ich dann auch an meinem zweiten Abend, zusammen mit einem anderen alt bekannten Freund namens Daniel Gunderlach und zwei Mitstudentinnen namens Bera und Leonie.

Am Montag Morgen um 8:00 Uhr nahm ich den Bus weiter in den Süden nach Dubrovnik. In Split hatte ich mich sehr wohl gefühlt und beinah sogar so wohl, dass es mir schwer fiel, mit leichtem Herzen weiterzuziehen. Ich hatte alte Freunde getroffen und neue Freunde gemacht. Hinzu kam, dass ich für die nächsten Nächte keine Couchsurfing Gelegenheit organisiert hatte und so bereits damit rechnete, in der mittleren Zukunft etwas einsamer zu sein.

Die Altstadt von Split
Die Altstadt von Split
Der Blick aus Victor's Wohnung
Der Blick aus Victor's Wohnung
Mein Gastgeber Victor mit seinem stadtbekannten Land Rover - Defender
Mein Gastgeber Victor mit seinem stadtbekannten Land Rover - Defender


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